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Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Nachrichten aus einem unbekannten Universum

Titel: Nachrichten aus einem unbekannten Universum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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so weiter und so fort. Klein-Erna lässt uns wissen, auch das mit dem Wind könne nicht stimmen. Heute zum Beispiel würde der Wind vom Land her wehen, also müsse er das Wasser doch eigentlich wegblasen. Stattdessen rolle es über Fritzens Füße. Und überhaupt, wenn Wassermoleküle und Modellschiffchen immer auf der Stelle blieben, wie könne dann Treibholz ans Ufer gelangen? Oder die Flaschenpost des armen Schiffbrüchigen?
    Kluge Kinder.
    In der Tat verhalten sich Wasserteilchen wie Mitglieder einer La- Ola-Welle im Fußballstadion, bleiben also hübsch auf der Stelle. Was aber, wenn die Fußballfans gezwungen wären, einander auf die Schultern zu steigen? Irgendwann würde der Turm aus Menschen kippen, und einige von ihnen würden durchaus ihre Position verändern. Ähnlich verhält es sich mit Wasser. Am Gestade stellt sich die Welle auf, bis sie bricht. Jetzt — und nur jetzt — wird Wasser transportiert, wenn die Welle in sich zusammenfällt und sich auf dem flachen Grund ausbreitet. Dann schießen die Wasserteilchen ein Stück den Strand hinauf, bis die Schwerkraft sie wieder zurückzieht, und darum bekommt das schlaue Fritzchen nasse Füße.
    Klein-Ernas Problem ist da schon kniffliger. Selbst auf einer kreisrunden Insel rollt die Brandung immer frontal gegen das Ufer, egal wo man sich aufhält. Die Antwort kennt nur der Wind — und ist so freundlich, sie uns zu verraten.
    Auf dem offenen Ozean treibt er die Wellen vor sich her. Das Meer wird in einen energetischen Zustand versetzt. Unabhängig davon, welchen Weg die Wellen an der Oberfläche nehmen, verhält sich Energie im Wasser nicht anders als Schallwellen in der Luft: Sie wird in alle Richtungen gleichzeitig geleitet. Nun gibt es zwar Strömungen und Gegenströmungen, Winde und Gegenwinde, die für Turbulenzen und Richtungsänderungen sorgen. Ungeachtet dessen gerät das komplette System immer dort ins Stocken, wo es auf Land trifft. Rund um eine Insel herrscht die gleiche Situation. Die Wellenform will sich weiter fortpflanzen und kann nicht, also folgt ihr Zusammenbruch.
    Klein-Erna ist noch nicht zufrieden. Wenn der Wind von Westen bläst, dann muss an der Westküste doch mehr los sein als im Osten der Insel. Richtig, Surferparadiese und geschützte Buchten gibt es genau aus diesem Grund. Tatsächlich laufen Wellen nur dort frontal aufs Land zu, wo der Wind sie in gerader Linie Richtung Küste bläst. An anderer Stelle nähern sie sich schräg. Steigt der Meeresboden dort sanft an, erreichen ihn die einzelnen Abschnitte der Welle nacheinander. Der landnächste Teil der Welle wird abgebremst, während die folgenden Teile ihre Geschwindigkeit vorerst beibehalten. Sobald der nächste Abschnitt den abgebremsten Teil eingeholt hat, wird auch er verlangsamt. Das setzt sich auf ganzer Wellenlinie fort. Sukzessive wird die Welle umgeleitet, bis sie schließlich parallel zur Uferlinie steht. Darum nähern sich Wellen am Strand immer frontal, egal wie der Wind weht, nur dass sie hier sanft plätschern und dort krachend reinschlagen. Haben sie hingegen unmittelbar vor der Landberührung keinen Bodenkontakt, etwa vor Steilküsten, behalten sie den schrägen Auftrittswinkel sichtlich bei.
    Und Treibholz? Warum bleibt es nicht auf der Stelle? Warum gelangt eine Flaschenpost ans Ufer, sodass man den armen Schiffbrüchigen, der sie Tausende von Kilometern entfernt ins Meer geworfen hat, retten kann und alle glücklich sind?
    Hier, Klein-Erna, kommt ein weiterer Faktor ins Spiel. Auch wenn Wellen kein Wasser transportieren, wird es trotzdem bewegt und verändert seine Position. Grund ist auch hier das Ausgleichsprinzip. Wasser muss fließen. Ohne Unterlass umrundet es die Erde. Meeresströmungen halten es in Bewegung und sorgen dafür, dass Flaschen in besiedelte Gegenden und Kisten mit Dosensuppen zu einsamen Inseln gelangen, wo der Schiffbrüchige dann feststellt, dass er keinen Dosenöffner hat. Meeresströmungen sind ein komplexes Thema, im übernächsten Kapitel werden wir darum mit der Strömung reisen.
    Jetzt aber kehren wir zurück an Bord unseres Schiffes, wo Sie mit Professor Bömmel an der Reling stehen. Im Tosen des Sturms hören Sie nicht, wie er in aller Gemütsruhe doziert. Vielleicht sagt er: »Dat is en janz besonders jroße Well’.« Oder: »Weiß einer, wie man so en Well’ nennt?« Sie haben andere Sorgen. Das Ding da draußen dürfte es den vorangegangenen Ausführungen zufolge eigentlich nicht geben. Doch es ist schaurige Wirklichkeit.

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