Nachrichten aus einem unbekannten Universum
Nahrung und Sauerstoff. Doch folgt man dem Modell von Russel und Martin, verdankt sich die Entstehung früher Organismen der chemischen Versorgung aus dem Erdinneren, wozu es keiner Gezeiten bedurfte. An den hydrothermalen Schloten der Tiefsee war man auf Sauerstoff vorerst nicht angewiesen. Den setzte man später selber frei. Sicher mögen Ebbe und Flut die rasche Entwicklung des Lebens begünstigt haben, indem sie den tieferen Wasserschichten Sauerstoff und Mineralien zuführten. Doch die photosynthetische Revolution vollzog sich an der Oberfläche. Man kann unterschiedlicher Ansicht darüber sein, bis in welche Tiefen solonitische Ozeane höheres Leben aufweisen und ob sich Fische, die auf Sauerstoff angewiesen sind, dort finden. Andererseits reicht einfachen Organismen Methan oder Schwefel zum Leben. Warum sollte die Evolution keinen Weg gefunden haben, auch höheren Wesen ein Dasein mit wenig Sauerstoff zu ermöglichen?
Strittiger ist die Frage, wie die Uratmosphäre vor Theias Aufprall beschaffen war. Aktuelle Modelle skizzieren eine zwar giftige, aber dünne Atmosphäre, die unablässig von Sonnenstürmen zerfetzt wurde, zumal der Planet nicht schwer genug war, den Gasmantel an sich zu binden. Hier beißt sich die Schlange in den Allerwertesten. Ohne Zusammenprall keine Gewichtszunahme, also auch keine stabile Atmosphäre. Möglicherweise umgab sich die Erde damals nur mit Helium und Wasserstoff und lagerte das schwerere CO 2 in ihrem Inneren. Durchaus denkbar also, dass das Leben in den Tiefen der Ozeane stecken geblieben wäre, wo es andere Wege hätte einschlagen können.
Im Grundsatz scheiden sich die Geister. Der französische Astronom Jacques Laskar etwa hält ein Leben ohne Mond für ausgeschlossen. Glaubt man ihm, wäre die Erde — einzig den Schwerefeldern der Sonne und der anderen Planeten ausgesetzt — ohne die stabilisierende Kraft eines Trabanten ins Torkeln geraten. Was an sich nichts Außergewöhnliches ist. Alle Rotationsachsen von Himmelskörpern schwanken, auch die der Erde, wenngleich nur geringfügig. Doch selbst dieses harmlose Schlingern hat dazu beigetragen, Eiszeiten auszulösen. Ohne Mond würde die Erdachse nicht taumeln, sondern alle paar Millionen Jahre komplett umkippen, so wie es bei der Venus geschehen ist. Wo aber Äquator und Südpol eben mal die Plätze tauschen, sind klimatische Sperenzchen zu erwarten. Nicht eben die besten Voraussetzungen für Leben.
Andere Wissenschaftler halten Comins’ Szenario für maßlos übertrieben. Sicher, die Gezeiten wären schwächer, aber auch ohne Mond hätte sich die Erddrehung verlangsamt, das hätte die Sonne geregelt. Schon möglich, kontert Comins, dennoch wäre ein Tag nicht länger als maximal acht Stunden. Viel zu kurz, um sinnvollen Tätigkeiten nachzugehen. Kaum hätte sich der Solonit seine acht Schuhe zugebunden, könnte er sie auch gleich wieder ausziehen.
Wir sollten also froh sein, ihn zu haben, unseren verkraterten Kumpan. Ungeachtet dessen hat sich der amerikanische MathematikProfessor Alexander Abian Anfang der neunziger Jahre dafür ausgesprochen, den Mond zu sprengen. Ein paar geschickt platzierte Atombomben, und das narbige Ding verwandele sich zurück in den Haufen Schutt, aus dem es mal entstanden sei. Die Rotationsachse der Erde würde sich aufrichten, Monsterhurrikans gehörten der Geschichte an, allerorten würde es blühen und tirilieren, in der Sahara könnte man Golfplätze anlegen, und die ganze Welt würde sich der Durchschnittstemperatur eines gediegenen Rentnerparadieses erfreuen. Schneller rotierte die Erde nicht, denn abgebremst sei abgebremst.
Wohin mit dem Trabanten? Kein Problem! Die Sprengungen ließen sich so ausrichten, dass der Mond in den Pazifik plumpse. Dass praktisch jede Küstenstadt unter gewaltigen Tsunamis begraben würde, tja ... ein bisschen Schwund sei überall. Die paar Städte würde Abian verschmerzen, wenn er im November Shorts und T-Shirt tragen könnte. Dem ist, denke ich, nichts hinzuzufügen.
Beulen im Meer
Bleiben wir noch ein bisschen auf dem Mond.
Da stehen Sie in Ihrem Raumanzug im Mare Tranquillitatis und staunen. Hingerissen sind Sie von der fernen Erde, die leuchtend blau über dem Mondhorizont aufgegangen ist. Ihr Blick erwandert die glitzernden Flächen der Ozeane — wie poliert liegen sie vor Ihnen. Natürlich sieht man vom Mond aus keine Wellen. Spiegelglatt erscheinen Indischer Ozean, Pazifik und Atlantik, und glatt sind sie tatsächlich: ungefähr so glatt
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