Nachrichten aus einem unbekannten Universum
einen Tiefseegraben, wo eine Erdplatte unter eine andere abtaucht. Ähnliche Gräben lassen sich rund um die Philippinische Platte nachweisen, westlich von Indonesien und nördlich von Neuseeland. Nicht mal aufs Meer rausfahren müssen Sie. Der Genfer See sieht lediglich so aus, als sei er glatt, stattdessen weist er Dellen und Gräben auf und ist in Genf zwei Meter höher als im gegenüberliegenden Montreux.
Aber wie verhält es sich dann mit dem berühmten schwimmenden Estrich? Wenn man den auf einem unebenen Kellerboden verteilt, zeichnet sich hinterher doch auch kein Relief ab, sondern man erhält eine perfekte Fläche. An dieser Stelle muss ich Maurer und Fliesenleger leider ihrer Illusionen berauben: Auch der Estrich gehorcht der Schwerkraft, nur sind die Schwankungen derart gering, dass sich selbst die Wasserwaage foppen lässt. Ozeane wie Estrich werden senkrecht zum Schwerezentrum der Erde gezogen, zum Erdmittelpunkt. Übrigens ein Grund, warum es außerhalb der bloßen Mathematik auf Erden keine parallelen Linien gibt. Zwei strammstehende Soldaten, einen Meter voneinander entfernt, scheinen in perfekter Parallelität zu stehen, tatsächlich bilden sie einen Winkel, weil sie demselben Gravitationszentrum zustreben und nicht jeder seinem eigenen. Handelsübliche Messgeräte kommen der Schieflage nicht auf die Spur. Denn auch sie orientieren sich an der Erdschwerkraft und gaukeln uns beispielsweise vor, das Meer sei eben. Angenommen, Sie stehen an Bord eines Schiffes, werden Sie sogleich Opfer der Eigentümlichkeiten von Schwerefeldern. Samt Ihrer Körpersäfte streben Sie dem Mittelpunkt der Erde entgegen, sprich, das Meer, das Schiff, Sie selber, alles steht schief. Für Sie aber erstreckt sich da ein perfekter, waagerechter Horizont. Weil die Neigungswinkel der Wasserberge zudem sehr flach sind, bekommen Sie von dem Auf und Ab nichts mit. Meine Frau Sabina, die Schiffsreisen wenig abgewinnen kann, hat mir versichert, das sei außerordentlich beruhigend.
Ein weiterer Grund für die unterschiedlichen Levels findet sich im Verhalten der Meeresströmungen, auf die wir später noch genauer zu sprechen kommen. Gewaltige Wirbel, so genannte Eddies, sind in den Ozeanen unterwegs, mit Durchmessern bis zu hundert Kilometern und mehr. Wenn Sie zu Hause das Badewasser ablassen, bildet sich ein solcher Wirbel in klein, der in der Mitte eine Kuhle aufweist.
Eine ebensolche Delle findet man im Zentrum der ozeanischen Riesenwirbel, die sich dafür an den Rändern hochwölben. Rotierend wie Galaxien aus Wasser sind die Eddies in den Meeren unterwegs, selber Teile größerer Wirbel, die ihrerseits in Gigawirbeln aufgehen. Das Ganze setzt sich fort, bis man erkennt, dass die kompletten Ozeane in Rotation befindlich sind. Oberhalb des Äquators kreisen die Wirbel im Uhrzeigersinn, unterhalb davon in entgegengesetzter Richtung, und sie rotieren umso schneller, je näher sie den Polen kommen. Verantwortlich dafür ist diesmal nicht die Schwerkraft, sondern die Erddrehung.
Ein solcher Gigawirbel dreht sich im Atlantik, mit einem leicht nach Westen versetzten Mittelpunkt. Dadurch drängt der Wirbel gegen Nordamerika, quetscht dort den Golfstrom gegen die Küste, staut ihn auf und wölbt ihn hoch. Bedingt durch die höhere Reibung wird der Strom verlangsamt, zugleich aber von starken Winden und dem Sog des Nordpazifiks beschleunigt. Die Bilanz gleicht sich aus, getreu dem Satz von der Erhaltung des Drehimpulses, wonach eine Kreisbewegung so lange konstant bleibt, bis sie durch äußere Einflüsse gestört wird.
Selbst die Atmosphäre scheint ihren Einfluss auf die Höhe des Meeresspiegels geltend zu machen. Denn auch Luft hat ein Gewicht. Es gibt Tiefdruck- und Hochdruckgebiete, die in unterschiedlicher Weise auf die Ozeane einwirken und das Niveau der Wasseroberfläche bis zu einem gewissen Grad mitprägen.
Seit 2002 ist der Satellit Jason-1 den Feinheiten der ozeanischen Topographie auf der Spur. Ausgestattet mit MikrowellenRadiometer, Laserreflektor und GPS misst er die Oberfläche auf 4,2 Zentimeter genau, untersucht Meeresströmungen und erforscht die wechselseitige Einflussnahme von Klima, Atmosphäre und Meer. 2008 soll ihm der verbesserte Jason-2 nachfolgen. Vielleicht wird man bis dahin ein paar bislang ungelösten Rätseln auf den Grund gegangen sein, etwa warum im Nordatlantik eine so viel höhere Gravitation herrscht als im Indischen Ozean. Die Topografie des Meeresbodens allein erklärt die krassen Unterschiede
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