Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)
geschlafen habe ich aufgrund der Temperaturen nicht. Obwohl es dringend nötig gewesen wäre. Fest steht für mich, dass ich hier so schnell wie möglich verschwinden werde. Meine Eltern und engsten Freunde haben mich darum gebeten, sie einigermaßen auf dem Laufenden zu halten. Der kleine Timo ist mit seinen vierundzwanzig Jahren zwar schon groß, aber sie wollen natürlich wissen, ob es mir gutgeht, knapp zwölftausend Kilometer fern der Heimat. Also stapfe ich mit meinem Gepäck noch schnell ins nächste Internetcafé und mache kurz Meldung, dass ich zumindest wohlauf bin.
Anschließend heuere ich einen Fahrer an, der mich tiefer in den Süden der Insel bringen soll. Auf einem Moped, genannt Motorbike, dem Hauptverkehrsmittel der Balinesen. Die Dinger sieht man hier überall auf den holprigen Straßen, viel öfter als Autos. Und es bereitet mir ziemlichen Spaß, hintendrauf zu sitzen und dabei die Landschaft zu genießen, während mir der Fahrtwind ein wenig Kühlung verschafft. Nach einer guten Stunde erreiche ich mein Ziel. Die «Romeo Bungalows» in dem Örtchen Bingin. Ein Tipp meines guten Freundes. Die Betten sind so sauber, dass ich meinen Schlafsack eingepackt lasse. Es sollte so ziemlich das einzige Mal sein, dass ich ihn nicht benötige.
Geführt wird das Homestay von Susi und Made, zwei schüchternen, aber sehr lieben Balinesinnen. Susi ist winzig, geschätzte ein Meter vierzig. Neben ihr wirke selbst ich wie ein baumlanger Basketballer. Mein erster Weg führt mich in den offenen Essensraum zum verspäteten Mittagsmahl. Das Nasigoreng schmeckt phantastisch.
Danach geht es runter an den Strand von Bingin. Angetan haben es mir vor allem die einsamen Felsbrocken, die getrennt von den übrigen mitten im Wasser stehen und auf denen obendrauf stets ein kleines Bäumchen wächst. Wunderschön hier. Leider ist der Himmel von einer dicken Wolkendecke verhangen, Bräunen kann ich also heute vergessen. Dafür ist das Wasser so warm wie in der Badewanne. Ich bin reif für einen ersten beherzten Sprung ins herrlich angenehme Nass.
Wir waren bereit für den Sprung auf den EM-Zug. Er sollte uns mit Volldampf zur Endrunde fahren. Zur ersten und vielleicht auch einzigen Europameisterschaft unseres Lebens. Nachdem die Jungs ohne mich die erste Runde der Qualifikation überstanden hatten, ging es nun in der nächsten Gruppenphase um alles. Unsere Kontrahenten waren Italien, Belgien und Aserbaidschan. Lediglich der Erste löste das Ticket zur Endrunde in Portugal. Die Spiele fanden in Belgien statt, unweit der deutschen Grenze. Alle Teams wohnten in einem kleinen Bungalowdorf, völlig abgelegen in der hintersten Prärie. Es schien ein Erholungsgebiet für Urlauber zu sein, Minigolfanlage und Wanderwege inklusive. Eine ungewöhnliche Art zu hausen für einen Fußballer, so ganz anders als die üblichen noblen Hotels in den Städten.
Auf dem zentralen Platz der Anlage stand ein Fahrrad für den allgemeinen Gebrauch herum. Die Spieler aus Aserbaidschan scharten sich darum wie um einen seltenen Schatz. Ich beobachtete die Szenerie zufällig aus einiger Entfernung und war doch einigermaßen irritiert. Als einer sich dann ein Herz nahm, auf den Drahtesel stieg und nach mehreren Versuchen, noch immer relativ unbeholfen, aber unfallfrei, durch die Gegend eierte, jubelte die gesamte Mannschaft. Man bekam den Eindruck, sie hätten gerade das entscheidende Tor für die erfolgreiche Qualifikation geschossen. Erst jetzt begriff ich: Für die Jungs war dieses Fahrrad eine Riesenattraktion. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, es war schön, ihnen dabei zuzusehen, wie diebisch sie sich über ihre Entdeckung freuten. Gleichzeitig kam mir der Gedanke, wie selbstverständlich wir im Westen gewisse Dinge betrachten, ohne zu reflektieren, dass es in anderen Ländern ganz anders aussieht.
Gegen den begeisterten Radrennstall aus Aserbaidschan hatten wir, wie erwartet, wenig Mühe und gewannen ungefährdet unser Auftaktspiel. Als krasser Außenseiter stellten sie sich mit Mann und Maus hinten rein und machten die Räume dadurch eng. Doch nach unserem ersten Tor war die Sache gelaufen, und wir gewannen am Ende deutlich.
Gegen die Italiener sah das schon ein wenig anders aus. Bis zum Schluss blieb es beim Unentschieden, obwohl wir in der Schlussphase anrannten und auf den Sieg drängten. Doch die jungen Italiener agierten bereits wie ihre Landsmänner im Profibereich: taktisch äußerst diszipliniert, ja fast schon unterkühlt. Es war
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