Nachspielzeit: Eine unvollendete Fußballkarriere (German Edition)
offensichtlich, dass sie uns spielerisch nicht das Wasser reichen konnten. Also wollten sie den einen Punkt über die Zeit retten. Und zwar mit allen Mitteln. Zum einen eben mit einer destruktiven, aber äußerst ausgefeilten Defensivtaktik, Stichwort Catenaccio. Zum anderen aber auch mit einer Menge Schauspielerei und Theatralik. Da wurde sich schon mal grundlos am Boden gewälzt, obwohl niemand wirklich berührt wurde, oder mit dem Schiedsrichter diskutiert, wo es nichts zu diskutieren gab. Manche mögen es Cleverness nennen, ich sehe das ab einem gewissen Grad anders. Und sei es in der Zeit vor oder nach diesem Spiel, gegen italienische Mannschaften hatte ich selten Spaß am Fußball.
Beim U17- EM- Qualifikationsspiel gegen Italien.
In der letzten Begegnung gegen Belgien brauchten wir einen Sieg für die Qualifikation zur Europameisterschaft. Wir gingen als Favorit in das Spiel, und keiner von uns konnte sich vorstellen, dass wir diese einmalige Chance vergeigen würden. Doch genau das taten wir. Es war eines der Spiele, in denen du machen kannst, was du willst, es läuft einfach nichts. Wir spielten zwar unter unseren Möglichkeiten, aber das hätte trotzdem reichen können. Doch in den entscheidenden Situationen, in wichtigen Zweikämpfen oder bei glasklaren Torchancen, zogen wir den Kürzeren. So oft waren wir zur Stelle gewesen gegen starke Mannschaften, wenn es darauf ankam – Brasilien, Argentinien, England, Holland, sie alle hatten wir geschlagen. An diesem Tag ging nichts. Wir verloren unsere Linie und taktische Ordnung und fanden sie auch nicht wieder. Die Belgier hingegen agierten beflügelt, angetrieben vom heimischen Publikum, und steigerten sich im Laufe der Partie mehr und mehr. Am Ende hieß es zwei zu eins für unser Nachbarland, und das nicht einmal unverdient. Unser EM-Zug hielt also nicht wie geplant in Portugal, sondern bereits in Belgien. Endstation.
Die Gastgeber ließen sich nach dem Abpfiff von ihren Fans euphorisch feiern, während wir zusammengekauert auf dem Rasen saßen und ins Leere blickten. Der Traum von der Europameisterschaft war geplatzt, und ich wischte mir heimlich eine kleine Träne mit dem weiß-schwarzen Trikot aus dem Augenwinkel. Die anschließende Busfahrt in unser Bungalow-Domizil war die mit Abstand geräuschloseste meines bisherigen Lebens. Und hätten es doch wenigstens die Belgier zur Endrunde geschafft nach ihrer leidenschaftlichen Leistung. Aber nein, zu allem Überfluss war dies den Italienern vorbehalten, die dort später im Viertelfinale ausscheiden sollten.
Die Heimreise war erst für den nächsten Tag angesetzt, und so mussten wir noch eine Nacht in der Anlage bleiben. Am späten Abend rief Trainer Stöber die gesamte Mannschaft in eines der Holzhäuser zusammen. Die Stimmung war extrem gedrückt, als wir da so im großen Kreis mit hängenden Köpfen herumstanden. Auch dem Coach sah man deutlich an, dass er wahnsinnig enttäuscht war. Doch er versuchte uns aufzurichten und dankte uns für den großen Einsatz. Anschließend ging er von Spieler zu Spieler, gab jedem die Hand und richtete ein paar aufmunternde Worte an sein jeweiliges Gegenüber.
An Schlafen war erst einmal nicht zu denken, meinem Zimmerkollegen Florian Fromlowitz, unserem Torwart, ging es genauso. Flo und ich waren damals vom selben Schlag. Wir waren unheimlich stolz, den Adler auf der Brust tragen zu dürfen, und uns unserer Verantwortung gegenüber unserem Land bewusst, auch wenn es «nur» eine Jugendnationalmannschaft war. Heute muss ich manchmal schmunzeln, wenn ich ihn Interviews geben sehe oder seine teils übertriebene Gestik auf dem Platz nach einer gelungenen Parade im Fernsehen verfolge, auch wenn diese emotionalen Ausbrüche seltener geworden sind. Aber manchmal scheint er das noch immer zu brauchen, um sich zu pushen. Schon damals war Flo auf dem Platz sehr emotional und ehrgeizig. Im Laufe der Spiele wurde es zu einer Art Ritual, dass wir beide nach einem Tor aufeinander zuliefen und uns noch kurz persönlich zujubelten, bevor der Anstoß für den Gegner erfolgte. Später wurde er in unserer Mannschaft von einem gewissen Manuel Neuer im Tor als Nummer eins verdrängt, aber Flo stieg später dennoch zum Bundesligatorhüter auf.
Damals, an diesem späten Abend in unserem Bungalow, fühlten wir uns beide einfach leer, doch auch das einte uns in diesem Moment. Wir ließen die schmerzhafte Niederlage noch einmal Revue passieren und schauten dann bis tief in die Nacht fern. Rocky
Weitere Kostenlose Bücher