Nachsuche
Backwaren, und Pauli will diesmal besonders aufwendige Guetzli probieren. Er versucht sich immer ganz allein an einem einzigen Rezept, das so kompliziert wie möglich ist. Noldi muss die Zimtsterne glasieren. Das ist eine verantwortungsvolle Aufgabe, aber er schafft es perfekt. Die Kanten sind messerscharf und alle Zacken exakt. Er staunt selbst darüber. Er hat nicht gewusst, dass er eine Begabung zum Zuckerbäcker hat.
Und schon ist Heiliger Abend. Die ganze Familie versammelt sich vor dem Christbaum. Noldi hält seinen Enkel auf dem Arm und sieht, wie sich in den Augen des Kindes die brennenden Kerzen und die Christbaumkugeln spiegeln. Rund um sie türmen sich Päckchen und Pakete. Sie sind eine große Familie, wenn da jeder jedem etwas schenkt, kommt einiges zusammen. Doch bevor es an die Bescherung geht, singen sie wie jedes Jahr die Lieder der Zeller Weihnacht von Paul Burkhard und mit besonderer Inbrunst den Stern von Bethlehem.
Noldi schenkt seiner Frau eine Kette aus grauen Tahiti-Perlen, die ihn ein kleines Vermögen gekostet hat. Aber er musste sie ihr kaufen, denn jedes Mal, wenn sie in Winterthur an dem Juwelierladen vorbeikamen, bemerkte er Merets verstohlene Blicke in das Schaufester. Sie sagte kein Wort und stehen blieb sie, davon ist er überzeugt, auch nur, wenn sie allein unterwegs war. Jetzt beweist ihm ihr strahlendes Gesicht, dass er richtig gehandelt hat. Sie legt ihm die Arme um den Hals, schaut ihn an und sagt: »Ich danke dir, dass ich dich so gut kenne.«
»Du hast es gewusst?«, fragt er verdutzt.
»Nicht gewusst, gehofft.«
Von Pauli bekommen die Eltern ein Modell, an dem er den Mechanismus nachgebaut hat, der verhindert, dass Vögel im Schlaf von den Bäumen fallen. Noldi kann sich kaum fassen vor Staunen. Immer wieder betätigt er den Hebel. Fitzi lacht und flüstert ihm ins Ohr:«Habe ich dir nicht gesagt, Pauli ist ein Genie.«
Noldi hat die zwei Feiertage frei. Hans Beer sorgt dafür, dass Familienväter an Weihnachten nicht zum Dienst eingeteilt werden. Stattdessen müssen die Unverheirateten und Geschiedenen daran glauben. So trifft es auch Noldis Freund, Fritz Notter. Er ruft Noldi am Zweiten Weihnachtsfeiertag an, als die Familie vom Fest ermattet in der Stube sitzt.
»Du, Noldi«, sagt er, »tut mir leid, dass ich dich störe. Aber da ist eine Frau Wehrli. Sie sagt, sie hätte in Turbenthal angerufen, dort sei der Polizeiposten geschlossen. Die Auskunft auf Band lautet, man solle sich in Winterthur melden. Sie will aber nur mit dir sprechen. Was soll ich ihr sagen?«
Die Nachricht reißt Noldi aus dem leichten Dämmerzustand, in dem er sich befunden hat. Plötzlich ist er hellwach.
»Ich komme«, sagt er, faltet schon die Zeitung vom Vierundzwanzigsten zusammen, die zu lesen er bis jetzt keine Zeit gehabt hat.
Er steht auf. Die Kinder bemerken es kaum. Pauli bastelt am Computer ein Fotoalbum mit Aufnahmen von Bayj. Er hat dafür einen Gutschein von seiner Schwester Fitzi bekommen. Das Mädchen hat alle Bücher, die für sie unter dem Weihnachtsbaum lagen, um sich gestapelt und betätigt gerade ihr Handy. Vermutlich, denkt er, schreibt sie ein SMS an ihre Freundin Stefanie oder liest eine von ihr, denn sie kichert vor sich hin. Meret, die wie eine Königin mit ihrer Perlenkette um den Hals neben ihm sitzt, hebt fragend eine Augenbraue.
»Tut mir leid, ich muss«, knurrt er, zieht sie vom Stuhl und mit hinaus auf den Flur.
»Elsbeth Wehrli ist auf dem Polizeiposten Winterthur«, sagt er.
Als Noldi dort eintrifft, sieht er die Frau auf dem Gang sitzen, müde, leicht gebeugt, aber ruhig, die Hände vor sich im Schoss. Auf dem Boden neben ihr steht eine kleine Reisetasche.
»Ist das«, denkt er plötzlich unsicher, »wirklich eine Mutter, die ihr Kind umgebracht hat?«
Doch genau davon will sie ihn überzeugen.
»Ich möchte ein Geständnis ablegen«, sagt sie, sobald sie Noldi sieht.
Da erscheint in höchster Eile Karl Eugen Wehrli und ruft von Weitem: »Sag jetzt nichts, mein Herz, sag nichts! Es wird alles gut.«
Elsbeth fährt sich mit der Hand über die Stirn.
»Karl, was machst du hier?«
Dann steht sie auf, nimmt ihre Reisetasche und folgt Noldi in den Verhörraum, ohne ihren Mann weiter zu beachten.
»Wissen Sie. Herr Inspektor«, beginnt sie, kaum dass sie sich gesetzt hat, »ich kann das alles keinen Tag länger ertragen.«
Noldi beeilt sich, das Aufnahmegerät einzuschalten.
»Die Schulden«, redet sie fast atemlos weiter, »die Spielsucht meines
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