Nachsuche
ihren bewusstlosen Mann sieht. Sie schlägt die Hände zusammen, dann läuft sie den Sanitätern nach.
Noldi hat nichts in der Hand und auch nicht das Herz, sie zurückzuhalten.
Unter diesen Umständen, denkt er zähneknirschend, wird die kein Wort mehr sagen. Neben ihrem leeren Stuhl steht die kleine Reisetasche. Noldi gibt ihr in seiner Wut einen Tritt. Dann fällt ihm ein, dass er sich um seinen Freund Notter kümmern sollte. Der kühlt sich im Waschraum seine blutige Nase.
»Gebrochen ist sie nicht«, sagt er.
»Was war das vorhin?«, erkundigt sich Noldi vorsichtig.
Franz grunzt, antwortet aber nicht.
»Du bist offensichtlich ein wenig übernächtig.«
»Red nicht so blöd, ich habe einen saumäßigen Kater.«
»Aha, Weihnachten war schwierig.«
»Ist es immer, wenn du geschieden bist und noch minderjährige Kinder hast.«
Noldi denkt an seine Familie zu Hause. Fast schämt er sich vor dem anderen für so viel Glück.
Dann sitzen sie im Bereitschaftsraum wie bestellt und nicht abgeholt.
»Was machen wir jetzt?«, fragt Franz nach einiger Zeit.
»Nicht viel«, antwortet Noldi düster. »Der Wehrli war es nicht. Das mit dem dritten Stock war eindeutig nur geraten.«
»Das sehe ich auch so«, pflichtet Notter ihm bei. »Aber kannst du es beweisen?«
»Kaum«, meint Noldi achselzuckend.
Ganz so leicht, wie er das sagt, ist Noldi dabei nicht zu Mute. Er bezweifelt, dass Elsbeth, egal ob ihr Mann stirbt oder weiterlebt und ihre Pflege braucht, noch einmal so weit kommt, dass sie ein Geständnis ablegen will. Beim Verhör hat sie bisher nichts gesagt, worauf man sie wirklich festnageln könnte.
»Ich habe Durst«, sagt Franz. »Gehen wir einen ziehen.«
»Franz«, sagt Noldi, »findest du das eine gute Idee?«
»Ja.« Notters Ton ist trotzig.
»Du bist im Dienst.«
Diesmal schweigt Notter.
Nach einer Weile meint Noldi, und ganz wohl ist ihm dabei nicht: »Wenn du unbedingt musst, kann ich dich so lange vertreten. Aber treib es nicht zu arg.«
Notter schaut ihn für einen Moment unsicher an. Dann springt er auf.
»Ich danke dir«, sagt er hastig. »Du bist ein echter Freund.«
»Aber wirklich nur ein Bier«, sagt Noldi, den sein Angebot schon wieder reut.
»Versprochen!«, ruft Franz bereits bei der Tür.
Dann ist Noldi allein. Er tigert im Bereitschaftsraum auf und ab.
Was soll er jetzt tun, was kann er tun, außer auf Franz zu warten? Und ob der wirklich nach einem Bier zurückkommt, ist alles eher als sicher.
Schließlich geht Noldi in seiner Unrast, sucht im Waschraum ein Paar Gummihandschuhe, nimmt einen Eimer, einen Lumpen und macht sich daran, die Sauerei zu beseitigen, die Wehrli hinterlassen hat.
Er muss das nicht machen, nur findet er alles besser, als untätig herumzusitzen. Doch auch diese unappetitliche Arbeit dauert nicht lange.
Franz ist noch immer nicht zurück.
Noldi flucht alle Zeichen über seine eigene Dummheit. Welcher Teufel hat ihn geritten, Notter ins Wirtshaus zu schicken. Wenn der sich jetzt wieder einen Rausch ansäuft, ist er noch schuld daran. Stattdessen, sagt er sich zähneknirschend, könnte er längst wieder zu Hause sitzen mit Meret und den Kindern, auf den Fall pfeifen und gemütlich die Zeitung lesen.
Er ist kurz davor, aus der Haut zu fahren, als Elsbeth Wehrli erscheint. Sie wirkt jetzt noch kleiner und älter, als er sie in Erinnerung hat.
»Ich bin gleich mit dem Taxi gekommen«, sagt sie statt einer Begrüßung. »Mein Mann ist außer Gefahr. Es war nicht seine Diabetes, haben sie im Krankenhaus gesagt, sondern ein allgemeiner Zusammenbruch. Übergroßer psychischer Stress oder so.«
»Er liebt Sie sehr«, äußert Noldi behutsam.
»Ja, aber nicht genug, dass er mit dem Spielen aufhört«, antwortet sie trocken. »Deshalb bin ich wieder hier.
Wissen Sie«, wendet sie sich lebhafter an Noldi, »wenn ich ins Gefängnis gehe, bin ich wenigstens diese Last los. Karl tut mir leid, er ist ein guter Mensch und ich liebe ihn. Es schneidet mir ins Herz, zu sehen, wie verbittert und freudlos er geworden ist. Aber ich kann ihm nicht helfen. Dieser Brocken ist zu schwer für mich.«
Noldi führt sie zurück in den Verhörraum und schaltet das Aufnahmegerät ein.
»Ich habe lange überlegt«, beginnt Elsbeth mit fester Stimme, »ob ich es riskieren könnte, meine Tochter um Geld zu bitten, fand aber dann, das sei keine gute Idee. Ein Leben lang habe ich mich nicht um sie gekümmert. Wie sollte ich Berti unter diesen Umständen jetzt anpumpen? Wenn meine
Weitere Kostenlose Bücher