Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
Vom Netzwerk:
weil deine Familie in Finnland ist und mein Vater und Christabel gerade Eisenheim retten müssen …«
    »Ich freue mich, dass du da bist«, sagte Marian, ohne aufzublicken.
    »Wirklich?«
    »Natürlich, es ist nur … Ich bin bloß müde. War ein langer Tag. Zuerst hatte ich Vorlesung, dann noch Training. Aber es ist schön, dass du an meinen Geburtstag gedacht hast.«
    Marian wusch Kopfsalat. Ich beobachtete ihn im Profil. Er sah wirklich erschöpft aus. Im Oktober hatte er als Spieler beim hiesigen Eishockeyteam angeheuert, den Essener Moskitos, und war für diese mittlerweile sozusagen unentbehrlich geworden. Denn anscheinend war er gut. Richtig gut. Sein jahrelanges Training in Finnland hatte ihm bereits etliche Anfragen aus höheren Ligen eingebracht, doch Marian wollte natürlich in Essen bei seinem Fürsten bleiben, weswegen er dort ein ziemlich großer Fisch in einem ziemlich kleinen Teich war. Christabel meinte, diese Regelung sei ideal, weil er sich bei den Moskitos etwas dazuverdiente, aber mit dem Trainer ausgehandelt hatte, nur an einem Spiel pro Woche und nicht jeder Trainingseinheit teilzunehmen, damit er gleichzeitig studieren und weiterhin für meinen Vater tätig sein konnte.
    Die Küchenuhr klingelte und Marian öffnete den Ofen. »Wir können dann essen«, sagte er.
    Etwa eine Viertelstunde lang kauten wir schweigend. Jeder von uns hockte an einem Ende des Sofas, zwischen uns der Teller, auf dem Marian die Pizzastücke gestapelt hatte, und die Salatschüssel. Marian betrachtete abwechselnd das Muster der Polster, die Fransen des Teppichs, einen Fleck auf dem kleinen Couchtisch vor uns. Er sah überallhin, bloß nicht zu mir. Wir aßen gemeinsam und doch war da diese unsichtbare Wand, die uns voneinander trennte.
    »Heute habe ich den Kanzler im Palast meines Vaters erwischt«, begann ich irgendwann, nur um die Stille zu übertönen. »Würde mich nicht wundern, wenn er wieder irgendetwas ausheckt.«
    »Mhm«, machte Marian und nahm sich noch ein Stück Pizza. Es war das erste Mal seit einer gefühlten Ewigkeit, dass wir miteinander allein waren, und offensichtlich behagte es ihm nicht.
    »Marian?«
    »Ja?« Er betrachtete eine auf den Boden gefallene Olive.
    Ich seufzte. »Soll ich lieber wieder gehen?«
    Endlich hob er den Blick. »Nein!«, entfuhr es ihm. »Nein, bitte bleib noch. Es tut mir leid.« Sein ansonsten so kantiges Gesicht wirkte mit einem Mal weich im Licht der Stehlampe. »Ich sitze echt nicht gern so weit von dir entfernt auf diesem bescheuerten Sofa, glaub mir. Aber ich habe Angst, dir zu nah zu kommen.«
    Wir sahen uns an. Lange. So lange, bis ich glaubte, durch das Grün seiner Iris bis auf den Grund seiner Seele schauen zu können.
    »Ich weiß«, sagte ich schließlich und schloss die Augen. »Weil du mir nicht verzeihen kannst.«
    Das war es jedenfalls, was Marian mir auf dem Ball im Palast meines Vaters erklärt hatte, als wir uns das letzte Mal unter vier Augen unterhalten hatten. Es würde ihm schwerfallen, mir jemals zu verzeihen, vielleicht gelänge es ihm nie, hatte er gesagt, nachdem ich den Weißen Löwen verborgen und so getan hatte, als hätte ich all meine Erinnerungen an das Versteck des magischen Steins aus meinem Gedächtnis gelöscht. Für Marian gab es damit nun keine Möglichkeit mehr, seine Schwester zu retten, deren Seele in Gestalt eines Monsters ein trauriges Leben in den Minen unter der Stadt fristete, gebunden an das Materiophon, das ihre Eltern einst erfunden hatten, um sie zu heilen. Ich hatte all seine Hoffnungen zunichtegemacht. Dabei stimmte das gar nicht. Ich wusste sogar noch sehr gut, wohin ich den Weißen Löwen gebracht hatte. Doch ich hatte alle deswegen belogen, auch Marian. Sogar jetzt belog ich ihn, weil ich es musste. Weil der Stein zu gefährlich war. Für beide Welten. Ich hatte mich für Eisenheim entschieden und gegen unsere Liebe. Ich hatte das Richtige getan und das Wichtigste verloren.
    Marian schwieg. Stattdessen hörte ich, wie der Pizzateller mit einem Klirren auf dem Boden zerschellte. Ein schwieliger Daumen wischte mir eine Träne von der Wange. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie unter meinem Augenlid hervorgekullert war. »Es geht einfach nicht«, murmelte Marian. Er war jetzt ganz nah. Sein Atem streifte meine Halsbeuge und ich vergrub meine Hände in seinem seidigen Zottelhaar, barg mein Gesicht an seiner Schulter. Einen Atemzug lang klammerte ich mich an ihn, als würde ich ohne ihn auseinanderfallen. Ich sog seinen

Weitere Kostenlose Bücher