Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
Vom Netzwerk:
Balken verrammelt. Durch leere Gassen lief ich weiter, begegnete einem Mann mit einem Koffer, der an mir vorbeihastete, und erreichte schließlich Notre-Dame.
    Bevor ich hineinging, umrundete ich die Kathedrale und blieb wie angewurzelt stehen, kaum dass ich an der Rückseite des Baus angekommen war. Noch immer überwältigte mich der Anblick des Nichts, die völlige Abwesenheit von allem. Das war etwas, was mein menschlicher Verstand nicht begreifen konnte. Es war so gewaltig! Kilometerhoch türmte sich das Nichts rund um die Schattenstadt auf. Eine undurchdringliche Wand und doch war da gleichzeitig gar nichts.
    Ich schluckte. Das Nichts war in der vergangenen Nacht wirklich nah herangekommen; was ich gestern bei meinem Sturz bereits vermutet hatte, bestätigte sich: Es fehlten nur noch wenige Meter, dann würde es die Mauern Notre-Dames in die nebligen Klauen bekommen! Kein Wunder, dass die Menschen flohen; ich fragte mich eher, warum der Graue Bund es nicht tat. War der Großmeister zu betrunken, um eine Entscheidung zu treffen? Oder sahen die Kämpfer es als besonders mutig an, dennoch zu bleiben? Madame Mafalda jedenfalls schätzte ich als jemanden ein, der nicht tatenlos zusah und in einer Falle verharrte. Trotzdem hatte sie gestern ungerührt ihr Training abgehalten. Bedeutete das, dass sie glaubte, die Gefahr sei erst einmal gebannt? Schließlich konnten Jahre bis zur nächsten Aktivität des Nichts vergehen. Oder Minuten, dachte ich und erinnerte mich an das Ziehen in meiner Brust und die Ascheflocke, die ich aufgefangen hatte. Würde es wieder geschehen? Und wenn ja: Wann? Warum?
    Meine Augen verengten sich zu Schlitzen. Es war ein bisschen so, als starrte ich einen Vulkan an. Es gab keine Logik in alledem, es machte keinen Sinn, sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Vielleicht hätte ich stattdessen besser einmal nach oben sehen sollen, doch ich tat es nicht. Mit einem Seufzen wandte ich mich ab und klopfte an die Flügeltüren des Hauptportals von Notre-Dame.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis auf der anderen Seite Schritte zu hören waren. Endlich schwang der linke der beiden Türflügel auf und gab den Blick auf die verspiegelte Eingangshalle frei. Die Spitzenhaube des Dienstmädchens, das mich einließ, wurde hundertfach von Wänden und Treppengeländern reflektiert.
    »Gnädiges Fräulein.« Das Dienstmädchen knickste vor mir, dann verschwand es auch schon wieder. Gerade noch pünktlich schlüpfte ich in den Tiberischen Saal, was Madame Mafalda mit einem Naserümpfen quittierte.
    Ich achtete gar nicht darauf. Stattdessen suchte mein Blick den Raum nach einem weißblonden Schopf ab, doch Marian war nirgends zu entdecken. Obwohl er heute keine Wache bei den Zwillingen halten musste, schwänzte er das Dämmerungstraining. Schon wieder. Ein Hauch von Enttäuschung machte sich in mir breit. Doch im Gegensatz zu mir würde er sich dafür kaum Ärger mit Madame Mafalda einhandeln. Er war ohnehin so viel besser als alle anderen, was machte es da schon, wenn er eine Stunde verpasste?
    »Trödel nicht so herum. Wir wollen anfangen«, befahl Madame Mafalda.
    Ich trottete in meine Ecke.
    Als Übungspartnerin wurde mir heute Amadé zugeteilt. Selbstverständlich hatte ich nicht die geringste Chance gegen die Tochter des Großmeisters. Doch sie war so rücksichtsvoll, mich das nicht allzu sehr merken zu lassen, indem sie sich quasi in Zeitlupe bewegte. So war es mir möglich, auch mal einen Schlag zu Ende zu führen und außerdem noch den einen oder anderen neuen Kniff zu lernen. Trotzdem war ich nach anderthalb Stunden vollkommen außer Atem. Keuchend bedankte ich mich bei Amadé, die leise vor sich hinlächelte und mir ihren Materienkiesel unter die Nase hielt.
    Soll ich dir zeigen, wo ich arbeite?, stand darauf.
    »Gern«, sagte ich. Seit der Eiserne Kanzler Amadé in diesem Jahr in die Finger bekommen und foltern lassen hatte, bis sie verriet, dass ich den Weißen Löwen gestohlen hatte, sprach sie nicht mehr. Sie ertrug den Klang ihrer eigenen Stimme nicht, weil er sie zu sehr an ihre Schreie erinnerte. Stattdessen spielte sie nächtelang auf ihrem Cello und kommunizierte über den faustgroßen Stein, den der Großmeister erfunden hatte.
    Das Nichts ist eine Sache, aber dieser Regen …, flackerte darüber, als wir durch die Flure Notre-Dames huschten.
    »Beunruhigt er dich mehr?«
    Sagen wir mal so. Amadé verzog das narbige Gesicht zu einer Grimasse und drückte die Flügeltüren des Portals auf. Eisige

Weitere Kostenlose Bücher