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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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Nachtluft schlug uns entgegen. Wenn sich das Nichts früher geregt hat, ist dabei nie etwas vom Himmel gefallen.
    »Niemals?« Ich biss mir nachdenklich auf die Lippe. Vom Himmel gefallen …
    Amadé schüttelte den Kopf und steckte den Materienkiesel in ihre Tasche.
    Eingehüllt in die grauen Mäntel des Bundes wanderten Amadé und ich durch die Straßen der Stadt. Wir zogen uns die Kapuzen tief in die Gesichter, um uns vor der beißenden Kälte und neugierigen Blicken zu schützen, und waren auf dem Weg in den Krawoster Grund, wo die Siedlung der Arbeiter lag. Dort war vor Kurzem eine neue Suppenküche eröffnet worden, in der Amadé hin und wieder aushalf.
    Wir liefen einige Kilometer in Richtung Norden, wo wir schließlich den Hades überquerten, der die Stadt durchschnitt. Dann erreichten wir den Krawoster Grund. Auf der anderen Seite des Flusses duckten sich die Baracken der Arbeiter in einer Senke. Verschlag an Verschlag reihten sie sich aneinander bis zum Horizont, an dem sich das Nichts auftürmte. Ich ließ meinen Blick über die schmutzige Siedlung schweifen, die lehmigen Pfade, die offenen Abwassergräben. In meinem Nacken lag ein Prickeln, wie immer, wenn ich sah, wie die Seelen der Schlafenden ausgebeutet wurden.
    Zwischen Baracken mit Wellblechdächern marschierten wir durch die schlammigen Gassen, vorbei an abgemagerten Männern und Frauen, die in Richtung des Industriegebiets im Schlotbaron schlurften. Für mich sah jeder Straßenzug gleich aus, doch Amadé kannte den Weg. Irgendwann blieb sie so unvermittelt stehen, dass ich beinahe in sie hineingelaufen wäre.
    Hier ist es. Sie deutete auf einen Bretterverschlag, der ein wenig größer und länger war als die übrigen. Der Geruch von Gemüsesuppe (die in dieser Welt vermutlich ganz anders schmeckte) stieg in nebligen Schwaden aus den Ritzen des Daches empor. Am anderen Ende des Gebäudes hatte sich bereits eine lange Schlange aus müden Arbeitern gebildet, Kinder, die grob geschnitzte Holzschüsseln umklammerten, und alte Männer, die sich zitternd auf dürre Krückstöcke stützten. Natürlich brauchten die Seelen in Eisenheim keine Nahrung, um zu überleben. Doch den Schlafenden schien sie Trost zu schenken.
    Amadé betrachtete die Menschen einen Augenblick lang. Es wird Zeit, dass wir öffnen. Sie deutete auf eine niedrige Tür, die anscheinend eine Art Hintereingang darstellte.
    Aber gerade als wir hindurchgehen wollten, entdeckte ich eine Gestalt, die um die Straßenecke hastete. Die breiten Schulten, der katzenhafte Gang und das weißblonde Haar – ich erkannte ihn sofort, ich hätte ihn unter Tausenden erkannt. Auch Marian hatte uns nun entdeckt. Mit raschen Schritten kam er auf uns zu.
    »Was macht ihr beiden denn hier?«
    »Hallo, Marian.«
    Marian betrachtete uns misstrauisch. Der harte Zug um seine Lippen war heute Nacht noch eine Spur schärfer. »Wieso seid ihr hier?«, wiederholte er seine Frage.
    Amadés Kinn ruckte in Richtung Suppenküche.
    »Sie wollte mir zeigen, wo sie arbeitet«, erklärte ich. »Was machst du?« Natürlich wusste ich es bereits. Er war bei seiner Schwester gewesen, die ihm Nacht für Nacht vor Augen führte, was ich getan hatte. Marian ersparte mir die Antwort, indem er das Thema wechselte.
    »Ihr wisst aber schon, dass es verrückt ist, sich ausgerechnet in so einer Nacht so nah an den Stadtgrenzen herumzutreiben?«, fragte er, ohne mich anzusehen. Eine Gänsehaut kroch mir über die Arme. Es waren diese Kleinigkeiten unserer verkorksten Beziehung, die mich am meisten schmerzten. Dass wir noch nicht einmal mehr normal miteinander sprechen konnten …
    »Verrückt?«, fragte ich und starrte ebenfalls an ihm vorbei. Dabei hätte ich so gerne einen Schritt auf ihn zu gemacht.
    Marian nickte und deutete nach oben. Ich legte den Kopf in den Nacken und hörte im gleichen Moment, wie Amadé neben mir scharf die Luft einsog. Auch ich hatte plötzlich Mühe zu atmen, denn am Himmel über uns prangte eine gigantische Wolke. Ein undurchdringlicher Koloss aus Qualm hatte sich dort oben zusammengeballt, ein rauchiges Gebirge, viel zu groß, um den Schornsteinen des Schlotbarons entsprungen sein zu können. Es schien den gesamten Himmel über Eisenheim auszufüllen. Und es bewegte sich. Nebelfetzen wirbelten durcheinander, bildeten Tornados im ausladenden Wolkenbauch.
    »Was ist das?«, flüsterte ich.
    In diesem Augenblick schwebte die erste Ascheflocke zu uns herab. Ich zuckte zurück, als sie nur wenige Millimeter an

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