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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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in einem der hellen Stalagmiten, die hier unten gewachsen waren. Er hatte sich perfekt in die Mulde geschmiegt, so perfekt, dass man ihn mit bloßem Auge kaum noch hatte erkennen können. Doch nun fehlte von Stalagmiten und Stalaktiten jede Spur. Die gesamte weiße Tropfsteinhöhle war dem Nichts zum Opfer gefallen.
    Aber der Stein existierte noch.
    »Ich spüre den Stein, aber ich kann nicht sagen, wo er ist. Wir müssen ihn suchen.« Ich hielt Marian die Hand hin und seine Finger verschränkten sich in meine.
    Langsam bahnten wir uns einen Weg durch das Nichts. In welche Richtung man auch blickte, überall sahen die trüben Schwaden gleich aus. Doch das Wispern des Steins zog mich an, unwiderstehlich säuselte er meinen Namen in mein Ohr. Als folgte ich einem unsichtbaren Faden, bewegte ich mich näher auf den verlorenen Teil meiner Seele zu und führte Marian und mich dabei tiefer und tiefer in das Nichts hinein, bis sich die nebligen Fluten schließlich lichteten.
    Mein Herz pochte bis in meine Schläfen hinauf, so aufgeregt war ich, den Stein bald schon wieder bei mir zu haben. Endlich! Das Gefühl, nach Hause zu kommen, wallte in mir auf und setzte sich als flatternder Schmetterling an die Stelle zwischen meinen Schlüsselbeinen.
    Doch als sich kurz darauf der Stalagmit mit dem Weißen Löwen aus dem Nichts schälte, verwandelte sich der Jubelschrei, den ich hatte ausstoßen wollen, in ein Keuchen. Denn der Stein war nicht allein! Und der Stalagmit wuchs nicht länger aus dem Fels empor, sondern thronte auf der Spitze eines gewaltigen Ofens, der von unzähligen Geistern umringt wurde. Ihre augenlosen Schädel wiegten sacht vor und zurück, während ein kehliger Gesang aus ihren Schlünden emporstieg. Ihre Finger kräuselten sich im Nebel, das Glühen des Ofens tauchte die Szenerie in ein düsteres Leuchten.
    »Was machen die Dinger da?«, flüsterte ich.
    »Sie beten ihren Ofen an«, murmelte Marian.
    »Das auf der Spitze ist der Weiße Löwe«, erklärte ich ihm. »Siehst du? Dort in der Mulde.«
    Marian nickte.
    Die Geister schwebten nun paarweise an der Ofenwand hinauf und schmiegten die zerfledderten Körper für einen Augenblick an den Weißen Löwen, was einen kleinen Blitz erzeugte, der ihre Köpfe aufflackern ließ. Gleich darauf stürzten die Wesen sich in die Glut. Ihre stummen Schreie brachten das Nichts zum Flirren, als sie verbrannten, während die übrigen Gespenster ganz vertieft in ihren Chorus zu sein schienen. Noch hatten sie uns nicht bemerkt, aber wie lange würde das so bleiben?
    »Meinst du, wir schaffen es unbemerkt an ihnen vorbei?«
    Marian schnaubte. »Wohl kaum.« In seiner Stimme lag ein leichtes Zittern. Er räusperte sich, um es zu verbergen. »Einer von uns wird sie ablenken müssen.«
    »Aber ist das nicht zu –« Gefährlich, hatte ich sagen wollen, doch Marian war bereits losgelaufen. Den Kopf gereckt, die Schultern gerade, marschierte er auf den Ring aus Geistern zu. »Warte!«, rief ich über unsere Helmmikrofone. »Du musst das nicht tun. Sie hatten dich schon einmal in ihren Klauen. Lass mich doch das Ablenkungsmanöver machen!« Ich rannte ihm nach.
    »Nein!« Marian lief einfach weiter. »Du holst den Stein und erfüllst diese dämliche Prophezeiung, damit Ylva nicht stirbt, klar?«
    »Klar«, sagte ich und blieb nun doch zurück.
    Bereits nach ein paar Metern entdeckten die Geister Marian. Ich erkannte es daran, dass zwei von ihnen plötzlich aufhörten zu singen und witternd den Kopf wandten. Mehrere ihrer Artgenossen taten es ihnen gleich und schnüffelten zunächst in den Schwaden, um sich Sekunden später ruckartig umzudrehen. Drei von Marians ausladenden Schritten später starrte ihn die gesamte Horde aus leeren Augenhöhlen an.
    Ihr Chorus schlug um in ein rasselndes Atmen, vielleicht war es ein Tuscheln. Einen Augenblick lang hielten sie noch still und beobachteten stocksteif, wer da in ihren Bau vorgedrungen war. Sogar das Rasseln verstummte, bis einzig das Geräusch ihrer Haare, die im Nichts flatterten, noch zu hören war. Dann stürzten sie los.
    Möglicherweise hätten schon ein paar von ihnen ausgereicht, um Marian zu überwältigen. Doch so dachten diese Wesen nicht: Sie taten es alle gemeinsam. Es mussten etwa fünfzig Geister sein, die nun auf ihn zurasten. Schon erreichten ihn die ersten wehenden Fingerspitzen. Marian trat und schlug wild um sich, doch seine Kampfkünste konnten nur wenig gegen diese Kreaturen ausrichten. Zwar flogen sie bei jedem Hieb

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