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Nacht aus Rauch und Nebel

Nacht aus Rauch und Nebel

Titel: Nacht aus Rauch und Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ma2
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weiß es nicht, aber wir versuchen, das Nichts aufzuhalten« brachte ich nicht über die Lippen.
    Kurz darauf erreichten wir den Platz, auf dem jahrtausendelang die Pyramiden von Giseh gestanden hatten. Wo einst mächtige Steinquader bis in den Himmel hinein übereinandergestapelt gestanden hatten, waren nur noch Gerippe geblieben, zerbrochener Fels, verkohlte Teile der Aquarien, Glassplitter. Es war das reinste Chaos. Einzig vom untersten Stockwerk der Cheopspyramide gab es noch einige Wände, hier und dort existierte sogar noch ein Stück Zwischendecke. Der Wind blies eisig durch das bröckelnde Gemäuer und wehte Schmutz und Staub über das Kopfsteinpflaster. Dennoch hatten auch hier Flüchtlinge Schutz gesucht, überall hockten oder lagen sie hinter Mauervorsprüngen und rissigem Glas. In der Luft lag ein Heulen und Scharren und Knarzen.
    Zielsicher steuerten wir auf die Stelle zu, an der sich die Falltür befand, unter der eine Treppe hinab in die Grotte mit dem lackschwarzen See führte. Ein Trümmerhaufen verdeckte die Klappe im Boden, doch als wir näher traten, fiel uns auf, dass er irgendwie anders aussah als die umliegenden Schuttberge, weniger … staubig. Marian machte sich daran, den ersten Brocken beiseitezuräumen. Ich wollte ihm zur Hand gehen, aber die Art und Weise, wie das Gestein aufeinanderlag, machte mich stutzig. Dies war keine zufällige Formation, die bei der Explosion entstanden war. Nirgendwo lagen kleinere Kiesel … Nein, es sah ganz danach aus, als habe jemand den Haufen absichtlich hier aufgeschichtet, um zu verdecken, was sich darunter befand!
    Mein erster Gedanke galt natürlich dem Kanzler. Doch irgendwie passte das nicht zu ihm, oder? Er ahnte, dass ich den Weißen Löwen irgendwo dort unten verborgen hatte. Aber wieso sollte er diesen Ort tarnen? Wen hoffte er damit in die Irre zu führen? Außerdem saß er in seiner Villa fest. Ich schob meine Überlegungen beiseite und machte mich daran, Marian zu helfen, denn mittlerweile waren die Pläne des Kanzlers ohnehin unwichtig geworden. Rasch hatten wir die Falltür freigelegt und stiegen die Treppe hinunter.
    Das Wispern des Weißen Löwen umfing mich, kaum dass ich die Grotte betrat. Es hallte von der Decke wider und kräuselte die Oberfläche des Sees. Der Stein rief nach mir, flüsterte meinen Namen und hieß mich willkommen. Ein warmes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus. Ich zweifelte nicht länger daran, dass er noch dort unten war, tief unter dem Fels. Der Weiße Löwe erwartete mich bereits. Ich hatte keine Augen für das Kuppelgewölbe der Grotte oder das Glitzern des Sees, plötzlich wünschte ich mir nichts dringender, als wieder vollständig zu sein. Ich sehnte mich nach dem verlorenen Teil meiner selbst und setzte bereits den ersten Fuß in das klirrend kalte Wasser, doch Marian hielt mich zurück.
    »Warte«, rief er. Ich hatte Mühe, seine Stimme aus dem Säuseln des Steins herauszuhören. Verschwommen fiel mir Marians Vorschlag ein, dass wir sicherheitshalber Schutzanzüge tragen sollten, wenn wir in die Tiefe stiegen. Tatsächlich hatte er die beiden Helme und die dazugehörige Kleidung bereits aus der Kiste, die wir mitgebracht hatten, zutage gefördert und auf den Steinen ausgebreitet. Ich griff danach, doch auch dieses Mal packte Marian mein Handgelenk.
    Fragend sah ich ihn an. Sein Gesicht wirkte angespannt und seine Lippen bewegten sich, doch ich verstand nicht, was er sagte, bis ein einzelnes Wort meinen Verstand erreichte und das Rufen des Weißen Löwen zumindest für den Augenblick in den Hintergrund drängte.
    »Ylva«, sagte Marian und deutete auf einen Felsen am anderen Ufer des Sees.
    »Was soll das heißen? Dort drüben ist doch niemand«, widersprach ich, fuhr jedoch im selben Augenblick zusammen, als ein Brüllen die Grotte erfüllte. Es war das gleiche Heulen, das ich schon draußen auf dem Platz gehört und für den Wind gehalten hatte. Bloß dieses Mal war es sehr viel lauter. Und näher.
    Marian neben mir bebte. »Sie … sie muss hier irgendwo sein!«, rief er. »Seit ich wieder zurück bin, habe ich überall nach ihr gesucht. Ylva ist hier, Flora!«
    Ich nickte. Amadé musste Ylvas Seele hierhergebracht haben. Sie wusste nicht, dass sich der Kampf um den Weißen Löwen vor einigen Monaten genau hier ereignet hatte. Für sie war dies vermutlich einfach nur ein sicherer Ort für Marians Schwester, möglichst weit entfernt vom Nichts. Und einsam. Sie musste es gewesen sein, die den Einstieg

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