Nacht aus Rauch und Nebel
wirkte er heute zu Tode erschöpft. Durchscheinend. Es sah aus, als habe er Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Als wäre er kurz davor, sich auf Christabel oder einen der anderen beiden Kämpfer zu stützen, die seine Eskorte bildeten.
»Hoheit.« Madame Mafalda verneigte sich ächzend und die übrigen Anwesenden taten es ihr gleich. Nur ich hielt mich aufrecht, legte meinen Langstab zur Seite und trat einen Schritt auf meinen Vater zu. »Hallo, Papa. Geht es dir nicht gut?«
Der Schattenfürst sah mich aus wässrigen Augen an. »Doch, natürlich. Wir haben alles unter Kontrolle. Es gibt keinen Grund zur Besorgnis«, sagte er viel zu laut und in keine bestimmte Richtung. »Trotzdem wäre es besser, wenn du jetzt mit mir kommst, Flora.«
Unsicher sah ich zu Madame Mafalda hinüber. Die Schwester des Großmeisters nickte mit verkniffenem Gesicht. »Wenn der Fürst es wünscht«, sagte sie.
Ich konnte nicht verhindern, dass ein feines Lächeln über meine Züge huschte. Erhobenen Hauptes durchquerte ich den Saal und erschrak, als ich meinen Vater erreichte. Von Nahem sah er noch viel ungesünder aus. Er drückte mich kurz an sich.
»Bist du in Ordnung?«, flüsterte ich.
»Nur gestresst«, murmelte er und schob mich zur Tür hinaus.
Schweigend führten seine Leibwächter uns zu der schmiedeeisernen Treppe am Giebel des Ostflügels. An ihrem Ende erwartete uns ein eleganter Zeppelin mit lackschwarzer Außenhaut. Kaum hatten wir die knarrende Treppe überwunden und die Passagiergondel erreicht, schnappte sich Christabel auch schon das Steuerrad und startete die Motoren. Sie gab so plötzlich Gas, dass ich beinahe das Gleichgewicht verloren hätte.
Ich klammerte mich an den Türrahmen und sah mich um. Was ich schon von außen vermutet hatte, bestätigte sich: Der Boden der Gondel war mit schwerem Teppich ausgelegt und die Sitze waren in der Form einer Ellipse angeordnet, sodass jeder Platz ein Fensterplatz war. Ich kannte diesen Zeppelin, natürlich. Schließlich hatte ich mich vor Wochen todesmutig aus eben dieser Gondel abgeseilt, um vor ihrem Besitzer zu fliehen. Rasch suchte ich die Sitze ab. Doch außer dem Schattenfürsten, seiner Eskorte und mir war niemand an Bord.
Wir wanderten in Richtung Bug.
»Wo ist denn –«, begann ich.
»Der Kanzler hatte anderweitige Verpflichtungen. Anscheinend gibt es Probleme mit ein paar außer Kontrolle geratenen Schattenreitern, die ein Auto angegriffen haben«, antwortete mein Vater, noch bevor ich meine Frage zu Ende stellen konnte. Seufzend ließ er sich in einen der Sessel fallen. »Als gäbe es nicht schon genug, worum wir uns sorgen müssen.«
Ich setzte mich neben ihn und nahm seine große, dürre Hand in meine. »Was ist passiert?«, flüsterte ich. »Was soll das heißen? Probleme mit den Schattenreitern? Ich dachte, sie gehorchen dem Kanzler aufs Wort.«
»Normalerweise schon«, sagte mein Vater. »Doch ein paar von ihnen sind heute Nacht außer Rand und Band. Erst haben sie das Mobiliar eines Restaurants zu Kleinholz verarbeitet und dann sind sie raus auf die Straße und haben sich auf das nächstbeste Auto gestürzt. Der Fahrer ist noch an Ort und Stelle gestorben.«
»Das ist ja schrecklich.« Ich schlug mir die Hand vor den Mund. »Weiß man denn schon, warum –«
»Flora«, unterbrach mich mein Vater. »Das Ganze ist unschön, aber momentan wirklich nicht mein größtes Problem. Der Kanzler kümmert sich um diese Sache.«
»Verstehe«, sagte ich. »Dann reden wir also über das Nichts. Warum hat es sich bewegt?«
Mein Vater starrte einen Augenblick lang aus dem Fenster.
»Papa?«
»Wenn wir das nur wüssten. Es geschah ohne Vorwarnung und widerspricht allem, was wir bisher über das Nichts vermutet haben«, sagte er schließlich. »Und ich bin müde, Flora. So unendlich müde.«
»Ich weiß.«
Er schloss die Augen und ich sah hinaus in die Dunkelheit, wo Dächer und Finsternis an uns vorbeizogen. Die Verantwortung für die Schattenwelt hatte meinen Vater mit den Jahren zermürbt. Oft wirkte er wie eine leere Hülle, ein Mann, dem der Fürstenjob die Lebensenergie bis auf den letzten Tropfen ausgesaugt hatte. Und nun hatte ich den Eindruck, dass auch diese Hülle langsam Risse bekam.
»Wurden viele Seelen getö–« Ich räusperte mich. »Verletzt?«
»So wie es aussieht, haben wir noch einmal Glück gehabt. Es hat hauptsächlich leer stehende Gebäude erwischt«, sagte mein Vater. Noch immer hielt er die Lider geschlossen. »Allerdings ist
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