Nacht der Leidenschaft
sofort, dass der Mann auf ihrer Türschwelle ein Prostituierter war. Vom ersten Augenblick an, als sie ihn eilig wie einen entflohenen Sträfling einließ, um ihm Unterschlupf zu gewähren, starrte er sie sprachlos vor Staunen an. Offensichtlich mangelte es ihm an der Fähigkeit, einer geistig anspruchsvolleren Beschäftigung nachzugehen. Aber natürlich benötigte ein Mann keinen Verstand, um das zu tun, wofür er eingestellt worden war.
„Schnell“, flüsterte sie und zupfte ihn hastig am Ärmel. Dann warf sie die Tür hinter ihm ins Schloss. „Hat Sie auch keiner gesehen? Ich hatte nicht damit gerechnet, Sie an der Vordertür zu empfangen. Hält man Männer Ihres Gewerbes nicht zu größter Diskretion an?“
„Mein … mein Gewerbe …“, wiederholte er mit einem kaum verhohlenen Schmunzeln.
Nachdem er vor neugierigen Blicken in Sicherheit war, erlaubte sich Amanda, ihn eingehend zu betrachten. Auch wenn er geistig etwas zu kurz gekommen war, sah er erstaunlich gut aus. Ja, er war wirklich schön, wenn man dieses Attribut auf ein männliches Wesen anwenden konnte. Er war hoch gewachsen und schlank. Die breiten, muskulösen Schultern schienen den Rahmen der Eingangstür auszufüllen. Das dichte schwarze Haar glänzte gepflegt und war erstklassig geschnitten. Das gebräunte Gesicht schimmerte rosig nach einer gründlichen Rasur.
Die Nase war lang und gerade, der Mund sinnlich.
Und er hatte außergewöhnlich blaue Augen. Ein so tiefes Blau hatte sie noch nie gesehen; es sei denn vielleicht im Laden des örtlichen Drogisten, der zur Herstellung von Tinte tagelang Indigopflanzen mit Kupfersulfat köchelte, bis ein Blau entstand, das beinahe der Farbe eines Veilchens gleichkam. Und doch spiegelten die Augen dieses Mannes nicht die engelhafte Sanftheit, die man üblicherweise mit dem Farbton verband. Sie blickten abwartend, prüfend und kampfbereit, als ob sie schon viel zu oft die unschönen Dinge des Lebens gesehen hatten, die ihr selbst bis jetzt noch unbekannt waren.
Amanda konnte verstehen, warum Frauen für seine Gesellschaft bezahlten. Die Vorstellung, dieses prächtige männliche Geschöpf mit den wissenden Augen zum eigenen Vergnügen zu mieten, war unbeschreiblich aufregend.
Und verlockend. Amanda schämte sich vor sich selbst, weil sie sich seiner Anziehungskraft nicht widersetzen konnte. Zu allem Übel jagten ihr abwechselnd kalte und heiße Schauer den Rücken hinunter. Die brennende Röte, die ihr in die Wangen stieg, machte die Angelegenheit nicht besser. Sie hatte sich damit abgefunden, eine würdige alte Jungfer zu werden … ja, sie hatte sich sogar eingeredet, dass ihr Unverheiratetsein große Freiheiten mit sich brächte. Ihr unruhiger Körper jedoch schien nicht einzusehen, dass eine Frau ihres Alters frei von Sehnsüchten sein sollte. Zu einer Zeit, als man mit einundzwanzig Jahren bereits als, alt betrachtet wurde, war man mit dreißig ein angestaubter Ladenhüter. Sie hatte ihre Blüte hinter sich und war nicht mehr begehrenswert. Sie war, wie es so schön hieß, ein spätes Mädchen. Wenn sie sich doch nur mit ihrem Los abfinden, könnte!
Amanda zwang sich, ihm geradewegs in die außergewöhnlich blauen Augen zu blicken. „Ich möchte offen sein, Mister … nein, das ist unwichtig. Nennen Sie mir nicht Ihren Namen. Da unsere Bekanntschaft nur kurz sein wird, ist er bedeutungslos für mich. Ich hatte Gelegenheit gehabt, über einen ziemlich voreilig gefassten Entschluss nachzudenken, verstehen Sie, und ich habe mich entschieden … nun, ich habe es mir anders überlegt. Bitte, betrachten Sie dies nicht als persönlichen Affront. Es hat nichts mit Ihnen oder Ihrem Äußeren zu tun, und das werde ich selbstverständlich auch Ihrer Arbeitgeberin Mrs. Bradshaw gegenüber klar zum Ausdruck bringen. Sie sind ein gut aussehender Mann und sehr pünktlich, und ich bin überzeugt, dass Sie sehr gut bei … nun, bei … bei der Ausübung Ihrer Tätigkeit sind. Um ehrlich zu sein, ich habe einen Fehler gemacht. Wir alle machen Fehler, und da bin ich gewiss keine Ausnahme. Ab und zu unterläuft mir ein kleiner oder größerer Irrtum …“
„Halt.“ Abwehrend hob er die großen Hände und blickte prüfend in ihr gerötetes Gesicht. „Reden Sie nicht weiter.“
Seit sie erwachsen war, hatte es niemand gewagt, sie mitten im Satz zu unterbrechen. Amanda schwieg überrascht und hielt die Worte mühsam zurück, die ihr über die Lippen sprudeln wollten. Der Fremde kreuzte die Arme über
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