Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall
Laura. «Wir brauchen eine neue Dichtung. Kannst du dich nicht darum kümmern, Luca? Ich hab einfach keine Zeit!»
Luca nickte und verteilte schweigend Nudeln auf ihre drei Teller.
«Entschuldige, dass ich mit meinem blöden Mathe zu dir gekommen bin, Mama. Ich weiß bloß nicht …»
«Ist ja schon gut, Sofi! Aber vielleicht könntest du mit Mathe ausnahmsweise zu deinem Vater gehen. Den gibt’s nämlich auch noch, und ich glaube, dass er jede Menge Zeit hat!»
«Aber der kann nicht erklären!»
«Okay! Nach dem Essen machen wir’s zusammen! Ich wollte zwar fernsehen, aber wenn es so dringend ist, dann …» Luca griff nach dem großen Löffel und goss Sauce über seine Spaghetti.
Laura ging nicht auf Lucas mürrischen Ton ein. Sagte stattdessen einfach: «Danke, Luca!»
«Aber bitte, mecker mich nicht gleich wieder an, wenn ich was nicht verstehe, klar!» Sofia leckte den großen Löffel ab.
«Okay! Aber nur, wenn du dich ein bisschen anstrengst. Bei Mathe schaltest du nämlich immer dein Gehirn aus!»
«Können wir jetzt über was anderes reden?», fragte Laura.
«Klar!», grinste Luca. «Über deine vergammelte Leiche von heute, zum Beispiel!»
«Hör schon auf! Erzähl lieber was aus der Schule!» Laura streute ein wenig Parmesankäse über ihre Nudeln.
«Na, das wird aber ein lustiges Gespräch! In der Schule war’s wie immer! Ziemlich öde. So, das war’s!»
Laura zuckte die Achseln.
«Dann eben nicht. Guten Appetit!»
Schweigend aßen sie ihre Nudeln mit Tomatensauce und frischem Basilikum, und Laura fragte sich, warum es manchmal so schwierig war, ein ganz normales Gespräch zu führen. Das Schweigen ihrer Kinder blockierte sie so sehr, dass ihr überhaupt nichts mehr einfiel. Es kam ihr vor wie eine unsichtbare Wand, und jeder Annäherungsversuch ihrerseits würde die Wand verstärken. Es war keineswegs immer so – manchmal erzählte jeder irgendeine Geschichte oder ein komisches Erlebnis, und alles erschien ganz leicht, dann füllte sich die Küche mit Lachen, und Laura fühlte sich wohl wie ein Katze beim Sonnenbad. Es war so wichtig, dass die Kinder fröhlich und leichtherzig waren. Trotz der schwierigen Jahre, die hinter ihnen lagen – der beiden Jahre nach der Trennung ihrer Eltern.
«Schmeckt gut!», sagte Luca und lächelte seiner Mutter kurz zu, aber Laura schmerzte dieses Lächeln, das er nur aufsetzte wie eine Maske, um sie zu beruhigen. Laura kannte Luca verdammt gut.
«Danke, Luca!», antwortete sie.
«Was war ’n das für eine Leiche, die heute aus der Isar gefischt wurde?», fragte er und stopfte ein großes Salatblatt in den Mund.
«Willst du das wirklich wissen? Eigentlich ist es nicht das richtige Thema beim Abendessen.»
«Ich würde nicht fragen, wenn’s mir egal wär!»
«Aber eben hast du dich noch über meine vergammelten Leichen lustig gemacht!»
«Ach, das war nicht so gemeint, Mama! Sonst lachst du doch über so was!»
«Ist schon gut, Luca!»
«Also!», murmelte Sofia mit vollem Mund. Sie sagte immer «Also», wenn sie eine Geschichte hören wollte. Laura liebte dieses erwartungsvolle «Also».
«Also!», begann Laura und dachte, dass es vielleicht an ihr selbst liegen könnte, wenn sich Schweigen im Raum ausbreitete. Vielleicht mussten Eltern sich ihren Kindern öffnen und über ihre eigenen Gefühle sprechen. Aber sie war sich nicht sicher, denn sie wollte ihre Kinder vor den Schrecken beschützen, denen sie selbst Tag für Tag ausgeliefert war.
«Also!», wiederholte sie unschlüssig.
«Na, mach schon!», grinste Luca.
Laura stocherte mit der Gabel in ihren Nudeln herum, gab sich dann endlich einen Ruck.
«Die Feuerwehr hat heute Mittag eine Tote aus der Isar geborgen. Mitten in der Stadt, gleich hinter dem Deutschen Museum. Die Frau war ungefähr so alt wie ich und ziemlich gut gekleidet. Wir haben keine Ahnung, wer sie ist, denn sie hatte keinen Ausweis bei sich und niemand ist bisher als vermisst gemeldet worden. Der Polizeiarzt meinte, dass sie ungefähr drei Tage im Wasser gelegen hat. Eigentlich ein Routinefall – so was kommt immer wieder vor. Wahrscheinlich Selbstmord – vielleicht ein Unfall …» Laura legte die Gabel weg und betrachtete nachdenklich ihre Nudeln.
«Und?» Luca wischte einen Tropfen Olivenöl von seinem Kinn.
«Und nichts», murmelte Laura. «Es hat mich nur traurig gemacht. Ich weiß selbst nicht warum. Irgendwie sah die Frau so aus, als hätte sie gern noch gelebt!»
Sofia und Luca starrten ihre Mutter
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