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Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall

Titel: Nacht der Stachelschweine: Laura Gottbergs erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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an.
    «Ich würde nie in die Isar springen!», verkündete Sofia. «Das Wasser ist so kalt! Es muss ganz schrecklich sein!»
    «Vielleicht hat sie jemand reingestoßen!», mutmaßte Luca.
    «Das versuchen wir gerade rauszukriegen!» Laura schickte ihrem Sohn ein winziges Lächeln. «Aber erst einmal müssen wir wissen, wer sie ist.»
    Sofia nickte ernst.
    «Wenn jemand sie gestoßen hat, dann musst du ihn finden, Mama!»
    Laura schloß kurz die Augen und spürte ein Würgen im Hals. Sofia hatte so ein unbegrenztes Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Mutter, und für sie war die Welt noch ganz klar in Gut und Böse eingeteilt.
    «Ja, Sofia. Wenn es so gewesen sein sollte, dann werden wir ihn hoffentlich finden», sagte Laura leise und griff wieder nach ihrer Gabel.

N ach dem Essen übernahm Laura das Geschirrspülen, damit Luca und Sofia endlich die Matheaufgaben lösen konnten. Es war schon fast zehn, viel zu spät für Sofia mit ihren elf Jahren. Luca hatte gemeint, es würde mindestens  eine Stunde dauern, bis seine kleine Schwester die Grundbegriffe der Mengenlehre kapiert hätte.
    Es war still in der Wohnung, und Laura genoss die Ruhe. Obwohl sie müde war, machte es ihr nichts aus, all die Pfannen, Töpfe und Teller zu reinigen und abzutrocknen. Es brachte irgendwie Ordnung in diesen Tag, der ganz zerfleddert hinter ihr lag. Am Morgen hatte sie versucht, ihren Schreibtisch im Polizeipräsidium aufzuräumen, zum ersten Mal seit Wochen. War so froh gewesen, dass nichts Besonderes vorlag, und dann kam … Peter Baumann mit der Meldung, dass eine Tote in der Isar gefunden wurde. Von diesem Zeitpunkt an hatte Lauras Vater seinen Telefonschub, wie Luca es nannte. Er rief in Abständen von zwanzig Minuten Lauras Handy an, und es hatte keinen Sinn, nicht mit ihm zu sprechen. Er würde nicht aufgeben, er gab nie auf – und alle dienstlichen Anrufe wären blockiert. Er rief auch an, als Laura vor der Leiche stand, die von den Feuerwehrleuten auf eine Trage gebettet worden war.
    «Vater!», hatte sie gesagt. «Ich rufe dich gleich zurück. Es geht jetzt nicht, verstehst du? Ich bin mitten in der Arbeit!»
    «Es tut mir Leid, Kind. Aber ich kann einfach den Korkenzieher nicht finden. Wo hast du ihn denn hingetan?»
    «Vater, bitte! Es geht jetzt wirklich nicht!»
    «Wieso denn nicht? Was macht die Polizei denn schon so Wichtiges?»
    «Vater, ich stehe vor einer Leiche! Ich kann jetzt nicht darüber nachdenken, wo dein verflixter Korkenzieher ist! Bis später!»
    Plötzlich musste Laura kichern, weil ihr nachträglich die Absurdität der Situation bewusst wurde. Vater hatte immerhin fünfzehn Minuten gewartet, ehe er wieder anrief,   um sich zu beklagen, dass sie nie für ihn Zeit habe. Eine Leiche brauche keinen Wein mehr, er aber sei noch am Leben! Laura trat auf den kleinen Balkon vor der Küche und atmete tief durch. Die Nacht war mild, obwohl es bereits Ende September war – eine späte Sommernacht. Sie setzte sich auf einen Stuhl und stützte die Arme auf die schmiedeeiserne Brüstung.
    Von hier aus konnte sie alle Küchen und Balkone des Nachbarhauses sehen. Im ersten und dritten Stock wurde noch gekocht – ungewöhnlich für die späte Stunde. Ein sanfter Duft nach Knoblauch und Kräutern zog an ihrer Nase vorüber. Im zweiten Stock saß ein Paar bei Kerzenlicht auf dem Balkon. Gegenüber im vierten Stock war es dunkel, doch hin und wieder glimmte eine Zigarette auf. Ihr Nachbar saß beinahe jeden Abend und bei jedem Wetter im Freien, rauchte und schaute zum Himmel hinauf. Manchmal, wenn er Laura entdeckte, winkte er aus der Dunkelheit zu ihr herüber. Dann winkte sie zurück. Sie hatte keine Ahnung, wie er hieß, aber wenn sie sich auf der Straße begegneten, lächelten sie sich zu.
    Diese kleinen Gesten schaffen Geborgenheit, dachte Laura und: Es ist ein bisschen wie in Italien, wie bei meinen Tanten in Florenz. Mama hätte diese Wohnung gemocht. Sie legte den Kopf auf die Arme. Mama ist zu früh gestorben. Zu früh für uns alle, aber vor allem für meinen Vater. Er hält das Leben ohne sie einfach nicht aus. Er hat nur noch mich und seine Enkel … und seinen Wein und die alten Philosophen. Wieder stieg ein Kichern aus ihrem Bauch – gegen fünf Uhr war ihr eingefallen, wo der Korkenzieher lag. Aber da hatte Vater bereits seine Nachbarin alarmiert, und die hatte ihm die Flasche geöffnet. Wenn es um Wein ging, wurde er sehr lebenstüchtig. Um halb sechs rief er wieder an und beschwerte sich über das

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