Nacht der Versuchung
daran, dass sie außer Tanya und Fleur keine Familie besaß, während Xavier Teil eines großen Familienverbandes war, wo jeder Anteil am Leben der anderen nahm. Unwillkürlich kam ihr der verräterische Gedanke, wie es wohl für ein Kind sein würde, in einem Haushalt voller liebevoller Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen aufzuwachsen.
“Ach Mariella, ich bin ja so froh, dass du gekommen bist!” Tanya drückte sie an sich. “Ich habe dich richtig vermisst! Du bist in demselben Zimmer untergebracht, in dem du schon einmal gewohnt hast. Xavier hat Khalid und mir für die Dauer unseres Aufenthalts in seiner Villa eine eigene Suite überlassen. Khalid hätte sich auf keinen Fall einverstanden erklärt, dass wir, wie es früher Tradition war, in getrennten Bereichen für Männer und Frauen gewohnt hätten. Und ich auch nicht!” Tanya erschauderte sichtlich. “Ich könnte nie wie Xavier hingehen und mit dem Stamm durch die Wüste ziehen! Allein der Gedanke entsetzt mich. All der Sand … und die Hitze! Und erst die Kamele!” Sie verzog das Gesicht. “Glücklicherweise denkt Khalid genauso. Er kann genauso wenig wie ich verstehen, warum Xavier sein Leben von ein paar alten Versprechen bestimmen lässt, die sein Großvater gemacht hat. Wenn Khalid das Familienoberhaupt wäre, würden viele Dinge ganz anders gehandhabt!”
“Dann ist es vielleicht besser, dass er nicht das Familienoberhaupt ist”, sagte Mariella unwillkürlich und biss sich auf die Zunge. Sie bemerkte Tanyas überraschten Blick und fügte erklärend hinzu: “Xavier ist der Bewahrer einiger unersetzlicher Traditionen, Tanya. Und wenn er diese Verantwortung aufgeben würde, würde womöglich eine über viele Generationen überlieferte Lebensart unwiederbringlich verloren gehen.”
“Eine Lebensart? Jedes Jahr wochenlang durch die Wüste zu ziehen ohne die Annehmlichkeiten eines zivilisierten Lebens! Nein danke, ich kann mir nichts Schlimmeres denken. Kannst du dir irgendeine Frau vorstellen, die bereit wäre, so zu leben?”
“Nicht dauerhaft”, antwortete Mariella sofort. “Aber um etwas so Wichtiges zu bewahren und um den Mann zu unterstützen, den ich liebe, um mit ihm zusammen zu sein und einen so wesentlichen Aspekt seines Lebens mit ihm zu teilen, ja, unter diesen Voraussetzungen kann ich es mir vorstellen und wäre bereit dazu.”
Ihre Schwester sah sie entgeistert an. “Du bist verrückt”, sagte sie kopfschüttelnd. “Genau wie Xavier. Tante Cecille hat tatsächlich recht. Du und Xavier, ihr seid vom gleichen Schlag.”
Ehe Mariella nachfragen konnte, bei welcher Gelegenheit dieses Thema angesprochen worden war, hatten sie und Tanya den Salon erreicht.
“Mariella, wie schön Sie wiederzusehen!”, begrüßte Madame Flavel sie herzlich, und Mariella zog automatisch den Bauch ein, als die alte Dame sie liebevoll an sich drückte. Lange allerdings würde sie ihren Zustand so nicht mehr verbergen können. Deshalb war sie auch fest entschlossen, spätestens nach der Rennwoche sofort wieder nach England abzureisen.
Eine halbe Stunde später hielt Mariella Fleur auf dem Arm und fing an, sich etwas zu entspannen. Sicher war Xavier genauso erpicht darauf, ihr aus dem Weg zu gehen, wie sie umgekehrt. Vielleicht würde sie ihn ja gar nicht zu Gesicht bekommen!
Sie lachte und flirtete mit ihrer kleinen Nichte und vergaß alles andere rings umher, bis plötzlich Madame Flavel ausrief: “Ah, da bist du ja, Xavier!”
Xavier! Unwillkürlich fuhr Mariella herum und drückte Fleur fester an sich, als könnte sie bei ihr Halt finden, weil ihr unvermittelt die Knie weich wurden. Entsetzt spürte sie, wie es sie heiß durchzuckte. Das konnte, durfte nicht sein! Es war nicht gut, dass ihr Blick wie gebannt auf Xaviers markanten Zügen ruhte und sein Anblick sie mit schmerzlicher Sehnsucht erfüllte. Die Macht ihrer Gefühle erschreckte sie. Konnte sie sich wirklich noch länger einreden, dass er für sie nichts als der Erzeuger ihres Wunschkindes war?
“Xavier, ich habe Tanya gerade erst gesagt, wie ähnlich ihr beiden euch seid”, hörte sie Tanya sagen.
“Ähnlich?”
Mariella sah nicht auf, aber sie spürte Xaviers forschenden Blick.
“Ja, in euren Einstellungen”, erklärte Tanya und fügte neidlos anerkennend hinzu: “Wirklich, Mariella, du solltest eigene Kinder haben. Du bist die geborene Mutter.”
“Da bin ich ganz einer Meinung mit dir, Tanya”, pflichtete Madame Flavel ihr bei.
Mariella schoss das Blut heiß in die
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