Nacht der Versuchung
gut ausgebaut, dass Mariella rasch alle Besorgnis vergaß.
Die einsame Oase, in der sich der Scheich offensichtlich gegenwärtig aufhielt, lag im Agir-Gebirge. Eine Stunde nach Mariellas Abfahrt aus dem Beach Club hatte der Wind aufgefrischt und wirbelte den Sand in Staubwolken über die Straße. Und obwohl Mariella Fenster und Türen des Jeeps fest geschlossen hielt, waren die Sandkörner so fein, dass sie sogar den Weg ins Innere des Wagens fanden. Inzwischen hatte Mariella die Hauptstraße verlassen und war auf einen gut markierten Weg abgebogen, der direkt in die Wüste hineinführte. Sie war froh, als sie tatsächlich das Beduinendorf erreichte, das auf ihrer Karte markiert war. Es war Markttag, und sie fuhr geduldig hinter einer Kamelkarawane her, bis sie ausgangs des Dorfes wieder beschleunigen konnte. In einer halben Stunde wollte sie zum Mittagessen anhalten. Wenn sie bis dahin nicht die zweite auf ihrer Karte eingezeichnete Oase erreicht hatte, würden sie und Fleur eben ein Picknick einlegen.
Die hohen Sanddünen zu beiden Seiten der Piste erfüllten sie mit ehrfürchtigem Erstaunen. Als Fleur aufwachte, schaltete Mariella das Radio aus, legte stattdessen eine Kassette mit Kinderliedern ein und sang fröhlich mit, um ihre kleine Nichte zu unterhalten.
Wie es sich zeigte, dauerte es doch länger, als sie geschätzt hatte, die Touristenanlage in der Oase zu erreichen, wo sie mit Fleur hatte zu Mittag einkehren wollen. Es war jetzt fast zwei Uhr, und Mariella hatte erwartet, bereits um ein Uhr dort zu sein. Feiner Sandstaub verlieh dem Himmel eine rotgoldene Farbe, und Mariella geriet leicht in Panik, als sie auf der Höhe der nächsten Sanddüne immer noch nichts von der Oase erkennen konnte. Widerstrebend sah sie ein, dass es wohl ratsam war, Hilfe zu suchen, und griff nach dem Mobilfunkgerät des Jeeps. Als sie jedoch versuchte, die einprogrammierte Nummer anzuwählen, erhielt sie keine Verbindung. Sie stoppte den Wagen und versuchte es mit ihrem eigenen Handy … genauso erfolglos.
Inzwischen verdunkelte der Sandsturm den Himmel immer mehr, und die Windböen trafen den Jeep mit beängstigender Wucht. Fleur schien Mariellas Unruhe zu spüren und begann zu weinen. Die Kleine war hungrig und musste gewickelt werden. Während Mariella das Baby versorgte, überlegte sie, was sie tun sollte. Da der Geländewagen mit einem Kompass ausgestattet und sie sehr gründlich und detailliert eingewiesen worden war, verwarf sie den Gedanken, dass sie sich verirrt haben könnte. Warum also hatte sie die Touristenoase noch nicht erreicht?
Während Fleur gierig ihre Flasche trank, war Mariella jeglicher Appetit vergangen. Und gerade als sie anfing, ernsthaft Angst zu bekommen, tauchte aus den Staubwolken vor ihr die Karawane auf, geführt von einem Kameltreiber in seinem traditionellen langen Gewand. Erleichtert legte Mariella Fleur in den Kindersitz zurück und fuhr auf die Karawane zu. Der Führer gab ihr höflich und hilfsbereit Auskunft. Sie habe tatsächlich die Abzweigung zu der Oase verpasst, was in einem solchen Sandsturm leicht geschehen könne. Außerdem seien wegen der Wetterverschlechterung alle Touristen angewiesen worden, nicht in der Wüste zu bleiben, sondern in die Stadt zurückzukehren. Für Mariella allerdings sei es nun das Beste, ihren Weg zur Oase fortzusetzen, den der Kameltreiber ihr sorgfältig beschrieb.
Mariella bedankte sich und fuhr nach der Beschreibung des Beduinen weiter, wobei sie die Kompassanzeige jetzt stets im Blick behielt. Und tatsächlich, nach einem, wie es ihr schien, endlosen Auf und Ab über weitere Dünen, tauchte durch die aufgewirbelten Sandwolken endlich die schemenhafte Silhouette des Gebirges vor ihr auf. Es war schon vier Uhr, und das Tageslicht schien rapide abzunehmen, was Mariella zusätzlich mit Panik erfüllte. Wenn sie geahnt hätte, dass ihr Ausflug so gefährlich hätte werden können, wäre sie nie dazu aufgebrochen. Aber nun war wenigstens ein Ende in Sicht.
Sie brauchte fast eine weitere Stunde im Zickzack durch die Sanddünen, bis sie die felsigen Ausläufer des Gebirges erreichte. Die Oase lag im Schatten einer tiefen Schlucht, deren schroffe, steil aufragende Wände Mariella erschauern ließen. Niemals hätte sie erwartet, dass ein Ort wie dieser den treulosen Liebhaber ihrer Schwester hätte reizen können.
Würde seine Villa hier genauso ein Palast sein wie sein Zuhause in Zuran? Neugierig spähte Mariella voraus, wo sich die Schlucht vor ihren Augen
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