Nacht der Versuchung
liebsten sofort mit Pinsel und Farbe auf Leinwand gebannt hätte.
Was ihre persönliche Situation betraf … Nein! Dieser Mann war der Liebhaber ihrer Schwester gewesen, und er war Fleurs Vater! Plötzlich war die Angst wieder da, die all die Jahre wie ein dunkler Schatten über ihr geschwebt hatte. Nein, ihr sollte es nicht so ergehen wie ihrer Mutter. Niemals würde sie sich eine Schwäche für einen Mann erlauben, der ihr nur wehtun konnte. Die Neigung, sich in den falschen Mann zu verlieben, mochte erlernbar sein, aber sie war bestimmt nicht erblich!
„Sofort raus hier!“
Sie sollte verschwinden? Mit dem größten Vergnügen! Mariella zog die Fahrertür zu, ließ den Motor an, legte den Rückwärtsgang ein und gab Gas. Doch die Räder drehten durch und wirbelten lediglich eine große Sandwolke auf, ohne dass sich der Wagen von der Stelle rührte. Scheich Xavier hämmerte draußen mit der Faust gegen die Fahrertür, und Mariella sah durch das Seitenfenster sein wütendes und ungläubiges Gesicht. Resigniert nahm sie den Fuß vom Gas und schaltete den Motor wieder aus. Wenn der Scheich wollte, dass sie verschwand, musste er ihr wohl erst einmal helfen, den Jeep freizubekommen.
In diesem Moment riss er die Tür auf. „Was, zum Teufel, haben Sie eigentlich vor?“
„Sie haben mir doch gesagt, ich soll verschwinden!“ entgegnete Mariella genauso wütend.
„Ich habe gemeint, Sie sollen aus dem Auto aussteigen, verdammt!“ Ehe sie sich’s versah, beugte er sich über sie, löste ihren Sicherheitsgurt, umfasste fest ihre schmale Taille und hob sie aus dem Wagen.
Mariella hielt den Atem an. Unwillkürlich tauchten die ebenso beunruhigenden wie erregenden Bilder aus ihrem Traum vor ihr auf. „Lassen Sie mich los“, sagte sie heiser und stieß ihn zurück. „Fassen Sie mich nicht an!“ Erst als sie jetzt so vor ihm stand, wurde ihr bewusst, wie groß er war. Sie musste zu ihm aufblicken.
„Fassen Sie mich nicht an?“ Scheich Xavier betrachtete sie von oben herab. „Nach allem, was ich weiß, hört man diese Worte eher selten von Ihnen.“
Außer sich vor Empörung, hob Mariella die Hand, um ihn zu ohrfeigen, aber er kam ihr zuvor und packte ihr Handgelenk so fest, dass es wehtat. „Katze!“ sagte er spöttisch. „Sollten Sie ernsthaft versuchen, Ihre Krallen an mir auszuprobieren, werden Sie es bedauern, das verspreche ich Ihnen! Aber heute Abend können Sie nirgendwohin fahren. Es ist ein schwerer Sandsturm angekündigt, der Sie auf halbem Weg in die Stadt lebendig begraben würde. Um Sie wäre es zwar nicht schade, aber dem Kind zuliebe …“
Fleur! Verzweifelt riss sich Mariella von ihm los. Auch wenn es für sie eine unerträgliche Vorstellung war, eine Nacht mit diesem gefährlichen Mann in dieser einsamen Wildnis zu bleiben, so sagte ihr die Vernunft, dass sie keine andere Wahl hatte. Der Jeep stand bereits bis zur Radnabe im Sand, und Mariella spürte den Sand schon knirschend auf der Zunge. Sie konnte das Baby nicht dieser Gefahr aussetzen. Im Innern des Wagens hatte Fleur jetzt wieder angefangen zu weinen. Unwillkürlich wandte Mariella sich ihr zu, aber Scheich Xavier war schneller, beugte sich in den Jeep und hob die Kleine heraus.
Mariella beobachtete die beiden mit angehaltenem Atem. Das Baby sah in seinen Armen winzig aus. Immerhin war er Fleurs Vater, da musste er doch irgendetwas empfinden, oder? Wenigstens eine gewisse Reue, Schuldgefühle …?
Er betrachtete Fleur tatsächlich einen Moment nachdenklich, doch seine Miene war unergründlich. „Sie hat Ihr Haar“, sagte er dann und legte sie Mariella in den Arm, bevor er schroff hinzufügte: „Der Wind wird stärker. Wir müssen unbedingt ins Zelt …Was haben Sie vor?“
Mariella hatte sich wieder dem Jeep zugewandt. „Ich möchte Fleurs Sachen aus dem Wagen holen.“
Scheich Xavier winkte unwillig ab. „Lassen Sie das jetzt. Ich hole sie später.“
Der starke Wind fegte Mariella den Sand jetzt so ins Gesicht, dass er sich wie Schmirgelpapier auf der Haut anfühlte. Als sie schließlich das schützende Zelt erreicht hatte, schmerzten ihr außerdem die Beine von der Anstrengung, sich durch die Sandwehen vorwärts zu kämpfen.
Das Zelt war sehr viel geräumiger, als es von außen den Anschein gehabt hatte. Der zentrale Wohnbereich war mit luxuriösen Teppichen und niedrigen Diwans wohnlich eingerichtet. Bunte Läufer zierten dunkle Holzkommoden, und zahlreiche Öllampen und Kerzen auf kunstvoll geschnitzten Tischen
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