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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weinek
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Bellarmin hatte doch noch einmal die Folter befohlen. Ein letzter Versuch, Einsicht zu erzwingen.
    Der Scheiterhaufen war an der Südostseite des Campo errichtet worden. Auf dem Platz warteten bereits Hunderte Menschen. Es herrschten Gedränge und Lärm, der allerdings sofort verstummte, als die ersten Fackeln des Zuges zu sehen waren. Für Kardinal Bellarmin und die übrigen Mitglieder der Inquisition sowie für etwa fünfzig weitere Kardinäle, die gerade in Rom weilten, hatte man eine kleine hölzerne Tribüne errichtet, von der aus sie das Schauspiel gut mitverfolgen konnten. Papst Clemens hatte sich krankheitshalber entschuldigen lassen. Am Eingang zum Campo übernahm die römische Stadtwache den Gefangenen, denn sie und nicht die Inquisition war verantwortlich für die Hinrichtung. Der Klerus wusch seine Hände in Unschuld und versuchte bis zuletzt, den Ungläubigen zu bekehren.
    So sah das also aus. Giordano war noch nie bei einer Verbrennung gewesen. Nun würde er bald seine eigene erleben. Je näher der Zeitpunkt seines Todes rückte, desto ruhiger wurde er. Die Schmerzen der Folter hatten seinen Körper abgestumpft. Er empfand ihn als Ballast. Nur sein Geist war hellwach und würde sich bald von diesem geschundenen Stück Fleisch, das die Folterknechte noch übrig gelassen hatten, trennen. Im Grunde hatte er sich bereits davon getrennt. Bald würde er schweben. Seine Seele würde zu ihrem Ursprung zurückkehren. Zu dem Unendlichen und Erhabenen, das er Gott nannte, und die Menschen würden zurückbleiben, bei ihrem kleinen, rachsüchtigen, eitlen Gott, den man nur durch Opfer gnädig stimmen konnte. Den sie anbeteten, damit er ihnen ein gutes Leben gewähre, und der ihnen darauf die Pest schickte. Den sie lobpriesen ob seiner Güte und Gnade und der sie sich durch Kriege gegenseitig ausrotten ließ. Nein, das war nicht sein Gott. So etwas war Gottes nicht würdig, das wusste er. Zwei Wächter hoben ihn vom Wagen und trugen ihn auf den Scheiterhaufen. Er leistete keinerlei Widerstand. Wozu auch? Auch nicht, als einer mit einem raschen Schnitt sein Leinenhemd zerschnitt und ihn nackt an den Pfahl, der aus dem Holzhaufen hervorragte, fesselte. Ein Raunen ging durch die Menschenmenge. Einige stimmten in die Gebete der Bruderschaft mit ein. Die ausgezehrte, nackte Gestalt hing wie leblos in den Stricken. Die Verletzungen, die ihm die Folterknechte zugefügt hatten, waren nun gut zu erkennen. Teilweise fehlten ganze Fleischstücke, und man konnte bis auf die Knochen sehen. Die Wunden waren eitrig. Einige waren aufgeplatzt, und gelbe Flüssigkeit quoll aus ihnen hervor. Brustwarzen und Genitalien hatten sich, nachdem sie mit glühenden Zangen bearbeitet worden waren, nicht mehr erholt. Einige junge Männer waren, um besser sehen zu können, auf den Terrina-Brunnen in der Mitte des Campo geklettert. Aufgrund der Schwere seiner Verbrechen hatte man sich für die langsame Verbrennungsvariante entschieden. Das hieß, dass nicht einfach nur ein paar Fackeln in die Reisigbündel gehalten wurden, sondern man den Delinquenten bei kleiner Flamme so lange wie möglich am Leben hielt. Ob de Montaigne recht behalten würde? Rauch bahnte sich seinen Weg durch Mund und Nase in seine Lunge. Das Atmen fiel ihm zunehmend schwerer. Ab und zu drang ein krächzender Laut aus seinem Mund, wenn der Rauch ihn zu husten zwang. Als die Flammen höher schlugen, schwoll auch der Gebetslärm an. Die Kardinäle beteten ebenfalls, nur Bellarmin starrte gebannt auf den Mann, der bisher von all den Abtrünnigen, die er auf den rechten Weg zu bringen versucht hatte, am hartnäckigsten geblieben war. Bis zum Schluss hatte er versucht, ihn und die Inquisition von der Richtigkeit seiner Lehren zu überzeugen. Ganz anders als Beccaria, der bereits nach der ersten Folter alles, was er gar nicht getan, zugegeben, und was er gar nie behauptet hatte, widerrufen hatte, den er in letzter Minute auf Geheiß Papst Clemens’ begnadigt hatte und der nun in einem abgelegenen Kloster in den Abruzzen Buße tat.
    Jemand aus der Bruderschaft hielt Giordano den an einer langen Stange befestigten Gekreuzigten vors Gesicht, auf dass er mit einem letzten Kuss dessen Gnade erwirken könne. Angewidert drehte Giordano den Kopf zur Seite. Wie würde es sein, wenn Materie zur Urmaterie zurückkehrte? Ob er auf die Seelen großer Geister treffen würde? Sokrates? Platon? Kopernikus? Thomas von Aquin? Die Hitze war unerträglich, doch er spürte nichts. Nur der Rauch drang

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