Nacht des Ketzers
Becher und reichte einen davon Giordano.
„Ihr müsst hungrig und müde sein. Erzählt mir alles. Ich hörte, Ihr wart in London. Wie ist die Königin? Ist sie so schön, wie man sich erzählt?“ Signore Mocenigo schien kaum Luft zu bekommen. Zischend stieß er die Worte hervor. „Und Frankreich, Paris, erzählt, erzählt!“
Doch er ließ Giordano nicht zu Wort kommen. Immer, wenn er ansetzte, von seinen Reisen zu berichten, fiel ihm Mocenigo ins Wort.
„Meine Köchin hat ein bescheidenes Gastmahl vorbereitet.“
Mocenigo schob Giordano in den Speisesaal, wo an einer langen Tafel Fisch, Fleisch, Gemüse, Salate, Obst, feine Pasteten und verführerische Süßspeisen auf ihren Verzehr warteten. Laut schmatzend machte sich Mocenigo daran, die Speisen in sich hineinzustopfen. Zwischendurch rülpste er vernehmlich und wischte sich mit dem Handrücken über den fettglänzenden Mund. Giordano war erstaunt, was der zierliche Körper alles in sich aufnehmen konnte.
„Ja, die Pest, die Pest.“ Selbst mit vollem Mund hörte er nicht auf zu reden. „Eine schwere Prüfung Gottes. Aber nun scheint sie ja überstanden. Nicht wahr?“
Er hatte die Angewohnheit, seinen Becher immer in einem Zug zu leeren. Sogleich kam einer der beiden Diener, die sich dezent im Hintergrund hielten, und goss nach.
„Ich hörte, Ihr seid auch in Genf gewesen. Schrecklich, diese Calvinisten. Nicht wahr? Einfältiges Pack, wie alle Protestanten. Aber wir werden diesen lutherischen Geist schon wieder aus Europa vertreiben.“
Mit verächtlicher Miene biss er in eine Hähnchenkeule, um sogleich wieder sein verschlagenes Lächeln aufzusetzen.
„Esst, esst, Ihr müsst mir bei Kräften bleiben. Ich will alles von Euch lernen, hört Ihr? Alles!“
Giordano hatte während des Mahles geschwiegen. Der kleine Mann missfiel ihm, aber die Aussicht, durch ihn vielleicht sogar eine Professorenstelle zu erhalten, hielt ihn davon ab, aufzustehen und unverzüglich wieder abzureisen – und noch etwas ließ ihn Mocenigo ertragen. Vielleicht konnte er ihm sogar eine Reise nach Nola ermöglichen, und er könnte die geliebte Mutter in den Arm schließen.
Am nächsten Morgen weckte Mocenigo ihn persönlich. Giordano erschrak zuerst, als er die Augen aufschlug und sah, dass sein Gastgeber es war, der ihn aus dem Schlaf gerüttelt hatte. Er ließ ihm kaum Zeit für die Morgentoilette, wollte sofort mit dem Lernen beginnen. Den ganzen Vormittag über erlebte Giordano dann einen völlig anderen Mocenigo. Mit offenem Mund lauschte er andächtig dem Vortrag des Gelehrten. Nickte immer wieder beifällig, warf nur manchmal ein „Köstlich“ oder „Großartig“ dazwischen.
So ging das einige Wochen. Giordano merkte aber, dass sich eine Unzufriedenheit Mocenigos bemächtigte. Immer häufiger stellte er Zwischenfragen, war ärgerlich, wenn Giordano auf das eine oder andere keine Antwort wusste oder ihn ermahnte, dass seine Frage mit Wissenschaft nichts zu tun hätte, sondern in die Welt der Geister gehörte. Geister, Zauberei, das war es, was Mocenigo zu interessieren schien. Freilich war er damit nicht allein. Giordano hatte auf seinen Reisen mehrmals die Erfahrung gemacht, dass den Menschen gar nicht so sehr an der Wahrheit gelegen war, sondern dass sie vielmehr das Mystische, Unvorstellbare und Unerklärliche suchten, und wehe, es kam jemand und klärte sie auf, nahm ihnen die Illusion. Anstatt ihm dankbar zu sein, wurde er wie ein Verräter beschimpft.
„Wann bringt ihr mir endlich das Zaubern bei?“, stieß Mocenigo irgendwann hervor.
„Ich kann nicht zaubern, Signore. Alles, was ich Euch beizubringen versucht habe, beruht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen.“
„Ihr lügt!“, fauchte Mocenigo. Dann verließ er mit hochrotem Kopf und lautem Türknallen das Studierzimmer und zeigte sich mehrere Tage nicht. Giordano begann, seine Sachen zu packen. Er wollte ein Schiff nach Neapel nehmen. Unter falschem Namen würde er weiterreisen und auf eigene Faust nach Nola gelangen. Es klopfte.
„Signore Giordano Bruno?“
Zwei Wachen betraten sein Zimmer. Giordano bejahte und wollte fragen, was der Besuch solle, da fiel ihm der ältere der beiden ins Wort.
„Im Namen der Heiligen Inquisition fordern wir Euch auf, uns zu folgen.“
Kapitel 71
Nachdem Anna und Guiseppe einige Wochen von Fraulissa bekocht und umsorgt worden waren, beschlossen sie, nach Pisa zu reisen. Immer noch lastete der Schatten Genfs auf Annas Seele, obwohl sie an Guiseppes Seite
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