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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weinek
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Gott treten sollte. Sie würden das Urteil mit größerer Furcht verkünden, als er es entgegennehme, hatte der Ketzer ihn mit ruhiger Stimme wissen lassen. Was für ein Hochmut. Bellarmin war außer sich gewesen. Wie konnte er es wagen? Sie hatten es sich bei Gott nicht leichtgemacht, und er selbst, Bellarmin, am allerwenigsten. Gefragt nach der Erschaffung der Dinge, hatte Giordano Bruno geantwortet, diese seien ewig, sofern sie vom ewigen Gott erschaffen seien. Wer eine endliche Wirkung annehme, könne diese unmöglich einer unendlichen Ursache zuschreiben. Der Kardinal hatte einmal mehr gemerkt, wie einige Mitglieder der Inquisition über diese Worte nachdenklich geworden waren, und es hatte einige Rhetorik seinerseits erfordert, sie wieder auf den richtigen Pfad zu führen.
    Gott könne gar nicht anders, als unendliche Wirkung zu erzeugen, sonst wäre seine Macht eine begrenzte, hatte Bruno seine Argumentation fortgesetzt. Leeres Gerede, nur dazu angetan, wankelmütige Geister zu verwirren. Die größte Sünde wider den wahren Glauben überhaupt. Die menschliche Seele kehre zum universalen Prinzip zurück, hatte der Angeklagte in seiner Verteidigungsrede mehrmals ausgeführt, und werde von ihm aufs Neue erschaffen. So gesehen, gebe es in dieser Welt nichts Neues. Die Seele des Menschen bleibe nach der Trennung vom Körper eine Einzelseele, die der Tiere gehe im universalen Prinzip auf. Starke Worte, fürwahr. Doch ihn, den Vorsitzenden der Heiligen Inquisition und engsten Vertrauten und Berater des Papstes, konnten sie nicht beeindrucken. Dann hatte der Ketzer die Bibel zitiert. Die Sonne gehe auf und unter – ein Beweis, dass das All in ständiger Bewegung sei. Hier hatten selbst die sonst am leichtesten zu beeinflussenden seiner Mitbrüder aufgeschrien. Wie er es wagen könne, das göttliche Prinzip, das die Erde in den Mittelpunkt eines fixen Sternensystems stelle, in Zweifel zu ziehen, hatten sie wissen wollen und gefordert, er solle die Geduld des Gremiums nicht unnötig strapazieren. Der Gipfelpunkt hatte wohl in seiner Behauptung gelegen, die Lebewesen auf der Erde gingen aus dieser selbst hervor. Auch dazu hatte er aus der Bibel zitiert, Genesis 1, 24: „Es bringe die Erde lebendige Seele hervor.“ Der Übeltäter hatte glattweg den Schöpfungsakt geleugnet, in dem Gott der Allmächtige alle Lebewesen auf dieser Erde erschaffen hatte. Spätestens da hatte der Ketzer endgültig sein Leben verwirkt.

Kapitel 73
    17. Februar 1600
     
    Der Weg zum Campo de Fiori kam ihm wie eine Ewigkeit vor. Er wollte es hinter sich bringen. Noch in der Dunkelheit hatten ihn die Mitglieder der Erzbruderschaft von San Giovanni Decollato abgeholt. Sie trugen lange Mäntel und hatten die Kapuzen tief in die Stirn gezogen, damit man ihre Gesichter nicht sah. In den Händen hatten sie Fackeln, die ein gespenstisches Licht auf die Häuserfronten warfen. Die Brüder führten den Zug an und beteten Psalmen. Das Stück Holz, das ihm einer der Kerkerwächter quer in den Mund gebunden hatte, damit er nicht sprechen konnte, hinderte ihn am Schlucken. Der Speichel floss seitwärts aus seinen Mundwinkeln. Schmerz verspürte er keinen, auch nicht die feuchte Kälte des Februarmorgens. Immer mehr Schaulustige schlossen sich dem Zug an, um der Hinrichtung beizuwohnen. Die Mitglieder der Bruderschaft waren meist angesehene Bürger Roms oder Edelleute. Zwei von ihnen saßen bei Giordano auf dem Wagen und redeten unablässig auf ihn ein, er solle doch noch widerrufen und bereuen. Er hörte sie nicht. Er dachte daran, dass er so gerne seine Mutter  und Guiseppe noch einmal gesehen hätte. Man hielt ihm kleine Heiligenbildchen vor die Augen, um ihn zur Umkehr zu bewegen. Er sah sie nicht. Was hatte ihm de Montaigne in seinem Brief geschrieben? In hundert oder zweihundert Jahren würden die Menschen erkennen, dass die Folter etwas Grausames und Hinrichtungen der Menschheit nicht würdig seien. Aber wie sollten die Menschen zu dieser Erkenntnis gelangen, solange sie an einen Gott glaubten, der seinen eigenen Sohn einen furchtbaren Foltertod sterben ließ? Der Zug kam durch die Via del Pellegrino. Menschen standen am Straßenrand und bekreuzigten sich. Dann folgten auch sie dem Zug, um das Ereignis nicht zu verpassen. Giordanos Arme waren bei seiner letzten Folterung aus den Gelenkpfannen gerissen worden und baumelten seitwärts an seinem Körper herab. Man hatte ihn wenige Wochen vor der geplanten Hinrichtung in den Turm von Nona verlegt.

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