Nacht des Ketzers
ist geöffnet. In seinem Innern erkenne ich Dokumente, die durch ein metallisches Siegel und einer Kordel als Rollen zusammengehalten werden. Ich sehe eine goldene Schrift und weiß im selben Moment, dass die Texte von enormer Bedeutung sind. Ich fühle die Anwesenheit von etwas Großem und Mächtigen. Über den Inhalt der Dokumente kann ich nur so viel sagen, dass er technischer Natur ist. Es geht darum, wie man Bauwerke richtig proportioniert und sie in der Landschaft ausrichtet. Es geht dabei nicht so sehr um Architektur, sondern vielmehr um Einweihung …“
(Zitat nach: Michel Lamy, Les Templiers , Bordeaux 1997, S. 308)
Alle Grabungen verliefen ergebnislos. Wie immer man zu den Zusagen von Gabrielle Carmi stehen mag, eines ist schon erstaunlich. Erst nach ihrer Aussage wurde offenbar, dass Guichard II. von Beaujeu, dem auf wunderbare Weise der schon totgeglaubte Sohn zurückgegeben wurde, eine geheime Gesellschaft gegründet hatte. Und diese hieß „les Parfaits Architectes“, wobei es sich hierbei um ein geniales Wortspiel handelt. Zu einen bedeutet „parfait“ perfekt oder vollkommen, zum anderen bezeichneten sich die Priester der Katharer als „Parfaits“. Was aber ist ein „vollkommener Architekt“ anderes als ein Wissender, der an der Welt baut wie ein Schöpfer. So und nicht anders denken auch die Freimaurer.
Orte, die um Arginy herumliegen, tragen Namen wie Bethléem, Lazarus, Jacob, Balthasar, Zacharias, Abraham oder Jerusalem. Von der Anwesenheit der Templer in dieser Region zeugen Ortsnamen wie „La Commanderie“, „Les Chevaliers“ oder „Le Temple“. Und dann fiel mir noch auf, nachdem ich auf einer Karte am Standort des „Turmes der acht Glückseligkeiten“ einen Kreis von 1200 Meter geschlagen hatte, dieser einen von drei markanten Punkten eines gleichschenkligen Dreiecks bildet. Die anderen zwei sind die Kapelle Sankt-Peter im Osten und ein Ort namens „Le Nicolas“. Nach der wundersamen Auferstehung seines Sohnes hatte Guichard II. von Beaujeu eine Kirche gleichen Namens errichten lassen. Neues Leben, Auferstehung veranlasste den Kirchenbau. Welcher Ort als dieser eignet sich als Versteck für geheime und wichtige Dokumente besser nach dem Untergang des Ordens? Im Innern der Kirche Saint-Nicolas-de-Beaujeu“ malt bei gutem Wetter das Licht der Sonne durch das Prisma der Fenster seltsame blaue Zeichen auf den Marmorfußboden. Gabrielle Carmi sprach von einem blauen Licht, das sie gesehen haben will. In der Kirche Saint Nicolas kam mir zum ersten Mal eine Idee in den Kopf, die mich von da an nicht mehr losließ. Aber davon später!
Ich will noch einmal auf Gisors zurückkommen, denn dort nahm ich auch die Spur der Schädel wieder auf.
Was man nämlich in den Mauern der ehemaligen Templerburg finden kann, ist eine merkwürdige Überlieferung, geheimnisvolle Graffiti und noch geheimnisvollere Sätze.
In Gisors sollte man unbedingt den „Turm des Gefangenen“ besuchen, zu dem es eine hübsche und zugleich bemerkenswerte Geschichte gibt. Ritter Poulain war der Geliebte der Königin Blanche, die sogar schwanger von ihm wurde, eine Tochter gebar, welche aber nicht überlebte. Als der König und Gemahl von Blanche das erfuhr, ließ er den Ritter in eben diesen Turm einkerkern. Poulain gelang es zu fliehen, wurde dabei aber tödlich verletzt und starb am Ende in den Armen seiner Geliebten. Wer mag diese Königin Blanche gewesen sein? Die Historie hat uns ihre wahre Identität nicht überliefert, so dass einige vermuten, dass es sich bei der ganzen Liebesgeschichte um eine alchimistische Allegorie handelt.
Als ich den Turm besuche und eingehend die Mauern betrachte, stoße ich auf Graffiti, wie ich sie von Chinon her kenne. In Gisors und im Turm von Coudray im Schloss Chinon war Jacques de Molay zeitweilig inhaftiert gewesen. Stammen gar von ihm die verschiedenen Steinritzungen in den Mauerwänden? Licht dringt nur spärlich von außen herein, so dass der „Gefangene“, der hier eingesperrt worden ist, nur mühsam seine Botschaft in den Stein einritzen konnte. Die meiste Zeit des Tages über wird es dafür in dem Raum einfach viel zu dunkel gewesen sein. Denn er hat sich viel Mühe gegeben, so dass die Graffiti ähnlich wie in Chinon reliefartig wirken. Ich erkenne Sankt Georg, der einen Drachen tötet, der wiederum eine Jungfrau am Strick mit sich führt – Sinnbild für die Erkenntnis der Welt und des Sieges über die Unwissenheit. Zugleich ist die Darstellung des
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