Nacht des Ketzers
kleiner Junge oftmals auf der Hausbank saß, bereits getan. Das nächste Haus war etwa dreihundert Meter entfernt. Barfuß war er früher über spitze Steine und Grashalme gelaufen, um zu den Nachbarkindern zum Spielen zu gelangen …
Wenig später legte eine der Nachbarinnen frisch gebackenes Fladenbrot, wie es in der Gegend üblich war, und ein paar tiefrote Tomaten vor ihm auf den Tisch. Durch zwei Zahnlücken grinsend, nickte sie ihm wohlmeinend zu. Die Hände vor dem Bauch verschränkt, stand sie nun da und wartete, dass er tüchtig zulangen würde. Auch die zweite Nachbarin kehrte bald darauf mit ein paar Feigen und Orangen zurück und gesellte sich nun zur ersten. Seine Mutter hatte frisches Wasser aus dem Brunnen geholt, und nun beobachteten sie ihn zu dritt, wie er das Fladenbrot erst mit Olivenöl bestrich und danach abwechselnd vom Brot und von den Tomaten abbiss. Nach jedem Bissen nickten sie ihm aufmunternd zu. Giordano beschloss, gleich nach dem Essen seinen Vater auf dem Feld aufzusuchen.
Kapitel 10
1. Februar 1596
„Ein Schreiben von Bruno an den Papst.“ Der Kardinal erbleichte, ihm stockte der Atem. Wie war Beccaria an das Schreiben gelangt – und warum hatte der Papst es ihm überlassen? „Habt Ihr ihn wieder foltern lassen“, wollte er bereits sagen, doch er zwang sich, sich seine Erregung nicht anmerken zu lassen. Della Mirandola war der Erste, der die Fassung wiederfand. „Was hat der Ketzer zu sagen?“ Der Ordensgeneral sah die beiden süffisant grinsend an und ließ mit der Antwort auf sich warten. Unaufhörlich wischte er sich mit einem bestickten Tuch den Schweiß von der Stirn.
„Nun kommt schon, was hat er geschrieben?“, setzte der Procurator nochmals nach.
„Er hat widerrufen und will sich der Kirche unterwerfen.“
Bellarmin stöhnte auf, rang nach Luft und ließ sich auf einen nahen Stuhl fallen. Aus. Vorbei. Er hatte diesen Sieg doch erringen wollen. Den verlorenen Bruder heimholen in den Schoß der Mutter Kirche. Er hatte doch beim Papst seine Stellung festigen und sich gegenüber seinen Mitbrüdern hervortun wollen, und nun, schien es, hatte Beccaria ihn seines Triumphes beraubt.
Wie auf ein Stichwort sagte dieser: „Ich persönlich habe dem Papst dieses Schreiben, das mir der Ketzer gab, überbringen dürfen.“ Weidlich kostete er die Enttäuschung, die den beiden im Gesicht stand, aus, denn auch della Mirandola hatte sich ausgerechnet, bei der Bekehrung Brunos eine wichtigere Rolle spielen zu können. Fassungslos las der Kardinal nun die wenigen Zeilen, die Giordano Bruno in zittriger Schrift zu Papier gebracht hatte. Tatsächlich, der Ketzer lenkte ein. Nervös kaute er auf der Unterlippe. Aber halt, ein Hoffnungsschimmer keimte in ihm auf. Hatte er das nicht schon in Venedig getan und danach noch einige Male in Rom? Was wäre, wenn er den Ketzer heute dazu bringen konnte, vom Widerruf abzurücken? Würde dann nicht Beccaria schlecht dastehen? Hätte dieser dann nicht den Papst kompromittiert? Ein teuflischer Plan kam Bellarmin in den Sinn. So konnte es gehen. So musste es funktionieren.
Er verhörte Giordano Bruno nun schon seit fast drei Jahren, wusste um seine Unbeherrschtheit, sein aufbrausendes Gemüt. Die Arroganz, mit der er die Wahrheit, seine Wahrheit, aller Welt entgegenschleudern wollte. Bruno liebte den Streit, die verbale Auseinandersetzung. Er war ein genialer Rhetoriker, dem es mit Hilfe der von ihm zur Perfektion vorangetriebenen Gedächtniskunst mühelos gelang, seine Gegner in die Enge zu treiben. Mehr als einmal musste Bellarmin Sitzungen unterbrechen und für mehrere Tage aussetzen, wenn er erkannte, dass der Häretiker drauf und dran war, die Mitglieder des Heiligen Offiziums argumentativ auszuhebeln. Allzu oft geschah es, dass er ihnen die Worte im Mund umdrehte und sie Gefahr liefen, kapitulieren zu müssen. Giordano Bruno nahm dann zumeist eine drohende Körperhaltung ein, fuchtelte wild mit den Armen. Seine Stimme wurde immer lauter, überschlug sich fast, und in seinen Augen strahlte der Glanz eines durch und durch überzeugten Menschen. Der Vorsitzende des Offiziums nickte ein paarmal stumm und gab dann das Schreiben an della Mirandola weiter. Beccaria war enttäuscht, er hatte gehofft, dass sich Bellarmin in irgendeiner Form bewundernd über seinen Erfolg äußern würde.
„Ah, was haben wir denn da?“ Der Kardinal rieb sich die Hände und sah auf den reich gedeckten Tisch. Er legte seine purpurne Mütze neben sich auf einem
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