Nacht des Ketzers
Scheiterhaufen geschleppt, nur um wieder in Ruhe ihrem langweiligen Alltag nachgehen zu können. Einige unter den Mitbrüdern verachtete Bellarmin besonders, und im Grunde hatte er sogar eine gewisse Schadenfreude empfunden, als Giordano ihnen zu Beginn des Prozesses wortgewaltig vorgeworfen hatte, sich mit Huren und Lustknaben zu umgeben und sich die Bäuche mit den feinsten Köstlichkeiten aus Roms Speisekammern vollzuschlagen, während sie dem einfachen Volk Fastenexerzitien verordneten. Nicht alle waren so. Natürlich. Manche konnte man durchaus als Gelehrte, als Theologen von höchstem Range bezeichnen, wie ihn selbst auch. Manche wiederum hatte man einfach aus bedeutenden Adelsgeschlechtern abgeschoben, damit sie in ihren Ornaten keine größeren Dummheiten anstellen konnten. Er selbst musste immer wieder Giordanos Reden Einhalt gebieten, obwohl er sich innerlich köstlich über die entsetzten Gesichter der anderen amüsierte.
„Nun, Kardinal, werdet Ihr den Widerruf Brunos annehmen?“ Beccaria hatte sich nahe an den Vorsitzenden herangeschlichen. Fast flüsternd hatte er die letzten Worte gesprochen.
„Wir werden sehen, verehrter Ordensgeneral, wir werden sehen.“ Die Mitglieder des Offiziums setzten sich im Verhörsaal halbkreisförmig auf Stühle, deren Lehnen über ihre Köpfe ragten, was ihren Gestalten etwas Erhabenes gab. Hinter ihnen befestigte Fackeln erhellten den Raum, warfen ihre vielfach vergrößerten Schatten an die Wand. Das Rasseln von Ketten kündigte Giordano Brunos Erscheinen vor dem Gericht an. Schwächer noch als beim letzten Verhör, musste er von zwei Wachen gestützt werden. Das Haar hing ihm in wirren Strähnen ins Gesicht. Seine Haut war von Krätze übersät, seine Augen und Lippen waren stark geschwollen. Aber immer noch war ein Funkeln in seinen Augen, das so manchen im Offizium schaudern ließ, wenn ihn der Angeklagte für einen kurzen Augenblick direkt anstarrte. Ja, es schien, als wäre das Funkeln das Einzige, was an Giordano immer stärker wurde, je länger er den Qualen des Kerkers ausgesetzt war. Der Gefangene musste etwa zehn, fünfzehn Minuten warten, ehe die ewig gleiche Prozedur von neuem begann. Eines der Offiziumsmitglieder war aufgestanden: „Name?“
„Giordano Bruno, geboren 1548 in Nola“, Giordano hörte gar nicht mehr auf die Fragen, sondern leierte lustlos die Antworten herunter, „als Sohn des Soldaten Giovanni Bruno und der Fraulissa Savolina. Eintritt in den Dominikanerorden zu Neapel 1565, geweiht zum Priester 1573.“ Der Gefangene fixierte einen Punkt in der Mauer direkt hinter dem Vorsitzenden. Er vermied es, das Kreuz, das man direkt vor ihm aufgestellt hatte, anzuschauen. „Das Kloster San Domenico Maggiore verlassen 1577.“ Wie oft hatte er diese Worte schon gesprochen? Wie oft würden sie sie ihn wiederholen lassen? Der Protokollschreiber nickte zum Zeichen, dass das Verhör beginnen konnte. Nun kam der Auftritt Beccarias. Triumphierend trug er auf Geheiß des Vorsitzenden den Inhalt des Widerrufschreibens Giordano Brunos vor. Noch während der Ordensgeneral las, begann Giordano den Kopf zu schütteln, erst leicht, dann immer heftiger. Interessiert beobachtete Bellarmin den Gefangenen. Was ging in ihm vor? Wollte er allein, aus freien Stücken, vom Widerruf zurücktreten? Das Herz des Kardinals begann wie wild zu pochen. Ruhig, bleib ruhig, befahl er sich selbst.
„Nein“, stammelte Giordano erst kaum vernehmbar, „nein, nein!“ Immer lauter wurde er, als Beccaria seinen Kollegen verkündete, der Ketzer habe wohl eingesehen, dass er sich geirrt hatte und dass die Gebete seiner Brüder aus dem Dominikanerorden wohl erhört worden seien.
„Nun, Kardinal Bellarmin, unter diesen Umständen und da es Papst Clemens’ dringlichster Wunsch ist“, schloss er seine Ausführungen, „schlage ich vor, Bruder Giordano noch heute zu entlassen und der Obhut seiner Mitbrüder im Kloster San Domenico Maggiore zu übergeben.“ Ein hämisches Grinsen umspielte seine Mundwinkel, als er den Vorsitzenden des Offiziums fest in die Augen schaute.
„Nein!“ Der gellende Schrei Giordano Brunos hallte bis in die hintersten Winkel der Kerkeranlage.
Es war, als schwänden ihm die Sinne. Er bemühte sich, an etwas gänzlich anderes zu denken. An etwas Schönes, Liebliches. Doch es war keine Freude mehr in ihm. Der Kerker hatte alles zunichtegemacht. Eine tiefe Trauer hatte sich seiner bemächtigt. Nie mehr würde er Liebe spüren können. Tiefe
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