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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weinek
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Wand abstützen. Erst in seinen vier Wänden ging es ihm wieder einigermaßen gut. Er setzte sich auf sein Bett, zog die Schuhe aus und wollte sich schon zur Ruhe begeben, da fiel sein Blick auf das Buch, das Monsieur de Montaigne ihm liebenswerterweise ausgeliehen hatte.
    „Die Göttin, ihre Arme weiß wie Schnee, umschlingt gelind Vulkan, den Zögernden“ , las er da. Giordano schmunzelte. Wer wohl der glückliche Vulkan war? Was wäre, wenn er sich jetzt selbst an seiner Stelle befände, mit einer Göttin oder ihrem Gegenteil? „Und schon durchdringt die altvertraute Flamme, altvertraute Glut des bebend Hingestreckten Mark und Bein und Blut.“ Monsieur de Montaigne, diese Zeilen stammen doch wohl nicht von Euch? Ah, hier steht es, Vergil hat sie erdacht. „Die Wolken spaltet so des Blitzes jäher Strahl, mit Donner Feuergaben sprühend sonder Zahl . “ Giordano machte eine Pause, da er die Kerze wechseln musste. Die Art des antiken Dichters gefiel ihm. Er hatte zwar schon manches dieser Art gelesen, doch diese Zeilen waren ihm neu. „Vom Liebesdienst die Glieder schlaff, nun regungslos und wohlig hingegossen in der Gattin Schoß.“ Doch warum zitierte Monsieur de Montaigne diese Zeilen in seinem Buch? Worauf wollte er hinaus? Giordano las weiter, und sogleich wurde ihm klar, was sein neuer Bekannter damit ausdrücken wollte. Erstaunt las er, dass Montaigne der Meinung war, dass in der Ehe diese wilden Begierden, wie sie zwischen Vulkan und seiner Gattin Venus beschrieben wurden, nicht mehr stattfänden, da das Eheleben der Leidenschaft eher abträglich sei. Liebe und Leidenschaft könnten sich nur da entfalten, postulierte er, wo die Liebenden einander völlig zweckfrei träfen.
    Giordano hatte sich bisher mit diesem Thema noch nicht auseinandergesetzt, fand nun aber Vergnügen daran und las weiter. Eine gute Ehe solle also lieber reine Freundschaft, eine sanfte Lebensgemeinschaft voller Beständigkeit und Vertrauen mit einer unendlichen Zahl nützlicher und handfester wechselseitiger Dienste und Pflichten sein. Seltsam. Irgendwie konnte er diese Worte mit dem Wesen seiner neuen Bekanntschaft gar nicht in Einklang bringen.  Die Ehe also ein Dienstvertrag, der auf Wechselseitigkeit beruhte? Doch dann, als er weiterlas, musste Giordano laut auflachen. „Ausschweifende Naturen wie die meine, der jede Art von Bindung und Zwang zuwider ist, sind jedoch für die Ehe wenig geeignet“, stand da geschrieben. Die Augen wurden ihm nach und nach schwerer. Das Lesen machte ihm Mühe. Das Kerzenlicht flackerte im Wind, der durch das immer noch geöffnete Fenster drang. Giordano atmete noch einmal tief ein, bevor er es schloss, wusch sich das Gesicht und zog seine Kleider aus. Unter seinem Zimmer hörte er, wie sich die Familie der Hausleute zum Schlafen begab. Obwohl müde von der Reise und dem langen Tag, konnte er nicht sofort einschlafen. Der Wind schob immer wieder Wolkenfetzen vor den hellen Halbmond. Sterne leuchteten, und manchmal war es ihm, als flackerten sie. So wie die Kerze noch vor einer Weile. Seine Gedanken trugen ihn durch die Nacht. Zurück nach Neapel. Zurück in eine ferne Zeit. Ins Kloster. Die Erinnerungen verschwammen. Die Augen wurden schwer. Fielen zu. Jäh weckte ihn Lachen aus einem Nebenraum. Das Lachen wurde lauter, immer schriller. Giordano kramte träumend in den Untiefen seiner Erinnerungen. Wie war das gewesen, kurz nachdem er ins Kloster eingetreten war? Ein Knabe noch von kaum fünfzehn Jahren. Er hatte durch eine Mauerritze gelauscht. Dann hatte er mit der Hand das linke Auge zuhaltend durch den Mauerriss gespäht und war entsetzt zurückgefahren. Vier Nonnen, drei Mönche und der Ordensgeneral hatten sich in dem Raum befunden. Der General hatte nur ein Wams und ein Samtbarett mit einer langen Pfauenfeder getragen. Er hatte ein Schwert umgebunden und torkelte. Die Mönche und die Nonnen hatten derweil ihre Ordensgewänder getauscht. Sie hatten Wein direkt aus Tonkrügen getrunken. Den Nonnen war der rote Saft links und rechts aus den Mundwinkeln gelaufen, wenn sie den Krug ansetzten. Der Ordensgeneral hatte eine der jungen Nonne gepackt und auf eine Bettstatt geworfen. Die anderen hatten gelacht und ihn angefeuert. Betrunken, wie sie war, hatte sie alles mit sich geschehen lassen. War es so gewesen, oder spielte ihm die Erinnerung im Traum einen Streich? Nein, er war ganz sicher, so war es gewesen. Nie würde er vergessen, was er damals zu sehen bekommen und nie zuvor gesehen hatte.

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