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Nacht des Ketzers

Nacht des Ketzers

Titel: Nacht des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Weinek
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fasste sich rasch wieder, erklomm das Podium und breitete die Hände vor sich aus, um seine Hörer zu beruhigen.
    „Silentium!“
    Kaum begann er zu reden, verstummte der Saal wie auf ein Kommando. Zur Einführung gab er seine jüngsten Erkenntnisse zum Thema Astrologie zum Besten, mischte sie mit kopernikanischem Wissen und eigenen Überlegungen und zog eine Schleife um Aristoteles, um ihn sogleich der grenzenlosen Torheit und Ignoranz zu zeihen, was erstaunte Ausrufe zur Folge hatte. Nach etwa einem einstündigen, immer wieder von spontanem Applaus unterbrochenen Vortrag hieß er dreißig Studenten aufstehen und ihm rasch irgendeine Zahl zurufen und sich diese zu merken. Als der letzte seine Zahl genannt hatte, drehte er sich theatralisch um und senkte den Kopf. Dann wirbelte er mit ausgestreckter rechter Hand und Zeigefinger herum, deutete auf einen jungen Mann in der fünften Bankreihe und rief: „Hundertfünfundsiebzig.“
    Der junge Mann lachte erstaunt auf.
    „Stimmt, Monsieur le Professeur.“
    Eitel und zufrieden nahm Giordano die Ehrerbietung auf. Einem nach dem anderen rief er nun die von diesem genannte Zahl zu. Ab und zu machte er eine Pause, tat so, als käme er nicht auf die Zahl, und erhöhte somit die Spannung im Saal. Als er die letzte Zahl genannt hatte, tobte die Menge. Aus den Augenwinkeln sah er, wie auch de Montaigne in die Beifallsbekundungen mit einstimmte. Einige Jesuitenmönche in den hinteren Reihen beobachteten argwöhnisch das Schauspiel. Einer murmelte etwas von Hexenwerk und Zauberei. Giordano genoss seinen Erfolg. Auch der Rektor hatte der Vorlesung beigewohnt und erklomm nun ebenfalls applaudierend das Podium. Er beglückwünschte den Vortragenden und bat ihn, am nächsten Tag um dieselbe Zeit zu ihm zu kommen, da er ihn dem Kollegium vorstellen und mit ihm über eine mögliche Professur sprechen wollte. Da war sie wieder, die Gelegenheit, der er hinterherjagte. Doch seltsam, anders als zuvor versetzte ihn der Gedanke daran nicht mehr in Aufregung. Im Gegenteil. Mit einer gewissen Gelassenheit willigte er ein. Die Menge hatte sich inzwischen beruhigt. Giordano bat noch einmal um Ruhe.
    „Nun verrate ich euch meinen Trick.“
    Ein Raunen ging durch die Bankreihen. Dann trat erwartungsvolle Ruhe ein.
    „Nun, ganz einfach. Es waren nicht die Zahlen, die ich mir merken musste, sondern eure Gesichter.“
    Ein Tuscheln und Zischeln hob an. Gesichter? Nicht Zahlen? Ungläubige Blicke trafen ihn.
    „Ja. Ihr habt richtig gehört. Gesichter. Denn die sind leichter zu merken, habe ich sie doch dauernd vor mir.“
    „Wie ist das aber nun mit den Zahlen?“, rief ein vorlauter Student.
    „Ganz einfach. Auf jedes eurer Gesichter habe ich in Gedanken eine Mütze mit der Zahl daraufgesetzt. So wurden Gesicht und Zahl eines.“
    Die Studenten sahen einander erst irritiert an, dann begann hier einer zu lachen, dort einer auf sein Pult zu trommeln, bis ein tobendes Lachen und Trommeln anhob und den ganzen Hörsaal erschütterte. Giordano winkte noch einmal in den Saal hinein und verließ ihn gleich darauf, gefolgt von Rektor Lotair und Monsieur de Montaigne.
    „Chapeau, Signore Bruno!“
    De Montaigne war begeistert und meinte, zu Monsieur Lotair gewandt: „Ich denke, Ihr habt hier einen großen Gelehrten für Eure Universität. Geht behutsam mit ihm um, nicht dass er es sich noch anders überlegt und eine andere Universität mit seinem Wissen erfreut.“
    Das Getöse verfolgte sie noch eine ganze Weile. Studenten und Professoren waren aus den umliegenden Hörsälen getreten, um zu sehen, was es mit dem Lärm auf sich hatte. Auch die Jesuiten, die seit einiger Zeit versuchten, Einfluss auf die Sorbonne zu gewinnen, beobachteten den Triumphzug des Neuankömmlings, ahnend, dass dieser ihren Bestrebungen im Wege stehen würde, zumal sie auch beim Großteil der Professorenschaft und bei vielen Studenten auf Widerstand stießen.
    Giordano hörte die freundlichen Worte de Montaignes nicht. Im Geiste bereitete er bereits die nächste Vorlesung vor. Im Grunde war ihm der Professorentitel mittlerweile egal. Die Begeisterung seiner Hörer trieb ihn an und die Freiheit, lehren zu dürfen, was er für richtig hielt – und noch etwas ging ihm durch den Kopf. De Montaignes freizügige Art des Schreibens hatte ihn seltsam berührt. Ja, er hatte eigentlich schon einen Entschluss gefasst. Als Nächstes würde er anstatt einer philosophischen Abhandlung seine schon lange geplante Komödie über einen

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