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Nacht-Mähre

Titel: Nacht-Mähre Kostenlos Bücher Online Lesen
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draußen!
    Sie trabte auf die Rinde zu. Nur die Nachtmähren konnten den Kürbis ungehindert verlassen. Das war auch gut so, denn sonst wären all die schlimmen Traumteile geflohen und völlig unkontrolliert über ganz Xanth hergefallen – was einer Naturkatastrophe gleichgekommen wäre.
    Der Hengst hatte recht: Imbri hatte irgendwie den inneren Bezug zu den Träumen verloren. Sie beförderte sie zwar und lieferte sie auch ab – aber die Sache mit dem Einberufungsbescheid für den Kobold war nicht der erste Auftrag, den sie beinahe durch ihr ungeschicktes Vorgehen versiebt hätte. Es fehlte ihr der nötige Wille, wirklich Angst und Schrecken zu verbreiten, und das machte sich bemerkbar. Es war wirklich das beste, es mit einer anderen Arbeit zu versuchen, so schwierig die Anpassung ihr auch fallen mochte.
    Sie konzentrierte sich auf die positiven Aspekte der Sache. Immerhin würde sie nun Xanth wenigstens bei Tag kennenlernen. Sie würde endlich den Regenbogen schauen dürfen! Das würde die Erfüllung ihres tiefsten und liebsten unterdrückten Ehrgeizes sein.
    Und danach? Konnte der Anblick des Regenbogens den Verlust ihrer Stellung und ihrer Freunde wirklich aufwiegen? Nein, das erschien ihr nun doch als etwas mager.
    Sie durchstieß die Rinde, was ohne große Willensanstrengung ging, da sie automatisch ihre Stofflichkeit verlieren konnte. Kurz darauf fand sie sich im nächtlichen Xanth wieder.
    Am Himmel schien der Mond, und in seinem Licht erblickte sie am Boden ihren Hufabdruck, der wie immer mit dem sichtbaren Mond übereinstimmte. Wenn der Mond kleiner wurde, wurden auch die Hufabdrücke der Nachtmähren unscharf, außer, wenn sie sich besonders anstrengten, um ein Zeichen zu hinterlassen.
    Imbri hatte ihren Traumdienst nie gemocht, wenn der Mond an Strahlkraft verloren hatte; dann rutschten ihre Hufe leicht aus und hinterließen überhaupt keinen Abdruck. Doch damit hatte sie in dieser Nacht keine Probleme, denn der Mond war fast bis zum Bersten voll.
    Sie trabte durchs nächtliche Xanth, als wollte sie eine frische Ladung Alpträume an schlafende Kunden abliefern, doch diesmal war ihre einzige Last die Nachricht ›Warnung vor dem Reitersmann‹. Sie wußte nicht, was das bedeutete, doch der König würde es schon wissen. Inzwischen pochte ihr Pferdeherz aufgeregt, als sich am Horizont die gefürchtete Dämmerung zusammenballte. Bisher war sie stets vor der aufgehenden Sonne geflohen, vor der Geißel des Tages; diesmal würde sie mit ansehen, wie sie die Dunkelheit metzelte.
    Die Sterne begannen zu verblassen. Die wollten nichts damit zu tun haben! Der Tag nahte; schon bald würde es hell genug sein, so daß die Sonne es wagen konnte, in Sicherheit emporzuklettern. Die Sonne haßte die Nacht, so wie der Mond den Tag verabscheute; doch Imbri wußte, daß der Mond wenigstens tapfer genug war, gelegentlich am Rande des Tages entlangzukriechen, vor allem dann, wenn er voll aufgeblasen und kräftig war. Vielleicht interessierte sich die Mondin ja für den Sonnenherrn, obwohl der sie nur wenig ermutigte. Imbri wußte, daß der Nachthengst einen Zauber über sie verhängt hatte, der es ihr, zusammen mit ihrer halben Seele, ermöglichte, das Licht des Tages zu ertragen – doch irgendwie fiel es ihr recht schwer, wirklich fest daran zu glauben. Was würde geschehen, falls der Zauber defekt war? Dann würde sie von einem tödlichen Sonnenstrahl getroffen werden, und ihr Meer auf dem Mond würde verblassen und in Vergessenheit geraten. Natürlich vertraute sie auf den Hengst, denn er war ihr Herr und herrschte über die Mächte der Nacht. Doch die Sonne war mit Sicherheit ein Aspekt der Mächte des Tages und wußte vielleicht nicht, daß Imbri vor ihr geschützt bleiben sollte. Vielleicht wußte sie es auch, weigerte sich aber, dies anzuerkennen. »Hoppla, Hengst, das tut mir aber leid! Willst du etwa sagen, daß das hier die Mähre war, die ich schonen sollte? Na ja, zum Glück hast du ja noch ein paar andere zur Verfügung…«
    Unerbittlich wurde es heller. Nun war es an der Zeit; sie mußte sich dem Tag stellen oder umkehren und nach Hause in den Kürbis flüchten. Ihre Beine zitterten, ihre Nüstern bebten. In ihren Augen war das Weiße zu erkennen, und ihr ganzer Leib spannte sich fluchtbereit an.
    Da fiel ihr der Regenbogen wieder ein. Sie würde ihn niemals schauen dürfen – wenn sie sich jetzt nicht der Sonne entgegenstellte; oder ihr den Rücken zukehrte, denn sie hatte einmal gehört, daß es stets der

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