Nacht über Algier
wußte gar nicht, daß Sie sich kennen«, bemerke ich eifersüchtig.
»Soria ist meine gute Fee«, erzählt der alte Zai'm. »Ich liebe sie wie meine eigene Tochter. Wir sind uns vor fünf oder sechs Jahren zum ersten Mal begegnet ...«
»Acht«, stellt Soria richtig.
»Sie hat mehrere Abhandlungen und sogar ein ganzes Buch über mich geschrieben.«
Er führt uns in einen mit handgewebten Teppichen ausgelegten Salon von ungeheuren Ausmaßen. Die Wände sind über und über mit riesigen alten Schwarzweißfotos bedeckt, auf denen unser Gastgeber, mal in Kampfmontur mit umgehängter MP, mal in einem lässigen Aufzug, neben großen Revolutionären posiert. Auf einigen erkennt man den verstorbenen Präsidenten Houari Boumedienne, auf anderen den jugoslawischen Präsidenten Tito, den vietnamesischen General Giap, Fidel Castro, König Faisal Ibn Saud, den jordanischen Monarchen Husain, den libyschen Führer Muammar El-Gaddafi und den ägyptischen Präsidenten Nasser. Inmitten dieser illustren Gesellschaft sieht man Cherif Wadah plaudern und lachen. Beeindruckend.
»Also, meine schöne Prinzessin, was hast du Gutes zu berichten? Man hat mich heute nachmittag angerufen. Offenbar bist du im Besitz einer Atombombe.«
Soria breitet den Inhalt ihrer Mappe auf einem runden Tischchen aus.
»Sie werden Ihren Ohren nicht trauen, mein lieber Che.«
Als erstes reicht sie ihm ihre Aufzeichnungen. Der Che studiert sie aufmerksam, während Soria ihre Kommentare dazu abgibt. Eine halbe Stunde später nickt der Alte nicht mehr. Erschüttert von den Enthüllungen, stützt er den Kopf in die Hände und hört sich konzentriert Sorias Bericht an. Seine Stirn ist von einer Unmenge Falten zerfurcht. Hin und wieder schalte ich mich ein und füge etwas hinzu. Ich erzähle ihm von den Schwierigkeiten, auf die wir bei unseren Nachforschungen gestoßen sind. Als wir auf Tarek Zoubir zu sprechen kommen, stößt er einen mißmutigen Seufzer aus und hebt das Kinn. Seine Augen glühen vor Abscheu.
»Unglaublich, unglaublich«, stammelt er.
Er steht auf. Die Hände auf dem Rücken, durchmißt er mit großen Schritten den Raum, wütend und erschüttert zugleich.
»Gott hat den Menschen das Beste von sich gegeben. Er hat die Welt für sie geschaffen wie ein Aquarell, damit ihr Blick sich an der Schönheit aufrichte. Er hat am Himmel Sterne angebracht, um ihnen den Weg zu weisen, er hat ihnen überall faszinierende Horizonte eröffnet, um sie anzuspornen. Aber er hat es versäumt, ihrem Bedürfnis nach Grausamkeit einen Riegel vorzuschieben, und seine ganze Großzügigkeit war ein Schlag ins Wasser . Gott hätte seine Hoffnungen nicht in diejenigen setzen sollen, die sich darin auszeichnen, sein Bildnis zu beflecken. Er hätte nicht einen Augenblick glauben dürfen, daß wir zu Dankbarkeit fähig wären. Das ganze Unglück der Welt rührt von diesem unverdienten Vertrauen.«
Soria holt ihr Tonbandgerät hervor.
»Und jetzt kommt die Krönung«, verkündet sie und drückt auf einen Knopf.
Der Che setzt sich wieder. Die Stimme von Ali Rabah ergießt sich wie ein Lavastrom über den Raum. Das Universum ringsum zieht sich zurück, fällt auseinander, verschwindet. Es gibt nur noch diese winzige Spule, die sich unablässig in ihrem Gehäuse dreht und Stück für Stück die unerträglichen Schilderungen unseres wichtigsten Zeugen in Sidi Ba freigibt. Es dauert ein paar Minuten, bis der Che merkt, daß sich die Spule nicht mehr dreht. Mit unergründlichem Gesichtsausdruck klingelt er Joe herbei und fordert ihn auf, seine Tabletten zu holen. Nachdem er das Medikament eingenommen hat, bittet er, sich in sein Büro zurückziehen zu dürfen, um nachzudenken. Wir ordnen unsere Unterlagen und warten eine Ewigkeit auf ihn. Durch das Fenster schaut der Abend herein, das letzte Tageslicht hat er entlassen. Eine mondlose Nacht löst die Stadt in Nichts auf.
Als Cherif Wadah endlich zurückkehrt, hat er wieder Farbe im Gesicht, seine Züge wirken entspannt.
»Algerien und Gott würden es uns übelnehmen, wenn wir diese Angelegenheit zu den Akten legten«, erklärt er mit Bestimmtheit. »Solche Ungeheuerlichkeiten dürfen nicht ungestraft bleiben.«
Soria ist erleichtert. Der Che fordert sie jedoch in gebieterischem Ton auf, nicht zu schnell in Freudengeschrei auszubrechen.
»Das wird kein Zuckerschlecken.«
»Wir haben etwas in der Hand, womit wir ihn erledigen können«, ruft die Historikerin aus.
»Haj Thobane ist kein gewöhnlicher Bürger, bei dem man
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