Nacht über Algier
festzulegen.
Über Algier strahlt ein blauer Himmel und weckt die Lebensgeister der Stadt. Ich fühle mich frei im Kopf und wohl in meiner Haut, ich bin dabei, eine Gottheit aus ihrem Olymp zu vertreiben, und werde auf diese Weise selbst zum Mythos. Um die Gelegenheit nicht zu verpassen, prüfe ich ordnungsgemäß, ob meine Beretta noch da ist und das Mikro fest unter meinem Pullover klebt.
Ich bin Punkt 15 Uhr mit Haj Thobane verabredet. Und um Punkt 15 Uhr stelle ich meinen Zastava vor dem Chemin des Lilas Nummer sieben ab. Surrend setzt sich das Gitter in Bewegung, als ich den Motor ausschalte, ein Zeichen, daß ich bereits erwartet werde. Ein stämmiger Kerl versperrt den Eingang, tritt zur Seite, um mich hindurchzulassen. Sobald er das Tor hinter mir geschlossen hat, macht er sich daran, mich zu filzen.
»Wir sind nicht auf dem Flughafen von Roissy«, wende ich ein.
Er überhört meine Bemerkung, tastet den Ordner ab, den ich in der Hand halte, streicht mir fachmännisch um die Knöchel, zwischen meine Schenkel und entdeckt die Beretta unter meiner Achsel.
»Keine Schußwaffen!« belfert er mit ausgestreckter Hand.
»Ich bin im Dienst.«
»Geben Sie mir bitte Ihre Waffe.«
»Kommt nicht in Frage. Selbst beim Vögeln muß ein Bulle seine Knarre bei sich haben.«
Ein zweiter breitschultriger Kerl, der auf der Veranda Wache steht, bedeutet ihm, es gut sein zu lassen. Der Gorilla knurrt. Er geht vor mir her, das Bein leicht nachziehend. Wie ein Blitz schießen mir Kongs Worte über die beiden Typen mit dem grauen Peugeot 405 durch den Kopf: »Der andere, kurzbeinig, hinkt ...« Wir durchqueren das Anwesen von Haj Thobane, in dem sich ein Wunderwerk an das nächste reiht. Marmorgepflasterte Wege in einem Tropenwald, Steinmäuerchen, die sich um Zwergpalmen schlängeln, alle fünf Schritt reichverzierte Laternenpfähle, von gurgelnden winzigen Wasserläufen eingefaßte, prächtige Blumenbeete und ein kleiner Zoo, in dem Pfauen zwischen Vierfüßlern umherstolzieren: ein Gazellenpaar, eine Hirschkuh, zwei Wüstenfüchse im Käfig, ein junges Zebra und andere aus fernen Ländern importierte kleinere Tiere.
Haj Thobane thront in einem imposanten Korbsessel über seinem Paradies. Er hat eine Safarijacke an, im Mund eine dicke Zigarre. Zu seinen Füßen der schönste Swimmingpool, den ich in meinem ganzen verdammten Hundeleben gesehen habe. Mit einem Wink entläßt er meine Eskorte.
»Sie wollten mich sprechen, Kommissar?« poltert er los.
Ich verfalle nicht in Panik, im Gegenteil, ich stecke eine Hand in die Hosentasche und bewundere ausgiebig die Landschaft.
»Fehlt nur noch eine Flagge, und ade, Republik«, gebe ich ihm zu bedenken.
Er zieht seine Augenbraue hoch und mustert mich abschätzig. »Waren Sie inzwischen beim Arzt, Monsieur Llob?«
»Ja. Er hat gesagt, daß ich total bekloppt bin.«
»Ganz meine Meinung.«
Er zerdrückt seine Zigarre in einem muschelförmigen Aschenbecher aus Elfenbein und hüllt sich in beunruhigendes Schweigen - die berüchtigte Ruhe vor dem Sturm.
»Ich war in Sidi Ba«, berichte ich ihm. »Schade, daß man eine Agrarregion zugunsten einer anarchischen Industrialisierung aufgegeben hat. Das hat ihren Zauber zerstört und die Gemüter verdorben. Aber ich habe mich nicht gelangweilt.«
»Ich weiß Bescheid. Vor Ihnen waren schon andere da und haben mit lautem Getöse versucht, mich vom Sockel zu stürzen. Aber sie haben sich nur heiser geschrien und die Zähne ausgeschlagen.«
Ich trete näher an ihn heran. Seine Gesichtszüge verkrampfen sich. »Immerhin hat die Region stark unter dem Krieg gelitten«, fahre ich betont lässig fort. »Man braucht nur irgendwo die Erde umzubuddeln, und schon stößt man auf menschliche Gebeine.«
»Meinen Sie, daß einem die Freiheit wie eine Pizza ins Haus geliefert wird, Monsieur Llob? Die Freiheit Algeriens hat nicht weniger als anderthalb Millionen Märtyrer gekostet.«
»Es gibt nicht nur Märtyrer.«
»Die feindlichen Verluste rechne ich nicht mit. Das ist nicht unsere Angelegenheit.«
»Es gibt nicht nur Verluste beim Gegner.«
Ich zwinkere ihm zu, um ihm zu verstehen zu geben, wie entschlossen ich bin. Sein Blick durchleuchtet mich wie ein Röntgenstrahl. An seinem zuckenden linken Augenlid erkenne ich, daß er allmählich den Braten riecht. Niemand würde es wagen, so respektlos mit ihm zu reden. Außer einem total Übergeschnappten. Genau dafür hat er mich anfangs gehalten. Doch meine durchaus klaren Worte widerlegen
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