Nacht über Algier
einfach so mit einem Haftbefehl und Handschellen aufkreuzt. Es handelt sich um ein ständiges Mitglied des Politbüros.«
»Sie sind auch Mitglied des Politbüros«, erinnere ich ihn. »Ihr Charisma ist genauso herausragend wie sein Einfluß.«
»In den Führungskreisen stellen sich die Dinge viel komplizierter dar, als Sie denken. Die persönlichen Interessen sind eng miteinander verflochten, die Komplizenschaften und Vernetzungen untereinander ebenfalls. Das System verdankt seine lange Existenz lediglich diesem hermetisch abgeschlossenen Mikrokosmos, den es sich maßgerecht zusammengezimmert hat. Innerhalb der Entscheidungsgremien muß man nicht immer übereinstimmen, man kann sich auch schon mal richtig die Köpfe einschlagen - das gehört durchaus zur Spielregel -, doch sobald die Bedrohung von außen kommt, schließen sich die Widersacher fest zusammen und bilden einen undurchdringlichen, solidarischen Block. Im übrigen verfügt ein Schwergewicht vom Format Haj Thobanes über ein ganzes Kontingent von Anhängern und Schachfiguren. Es wird nicht einfach sein, ihn aus dem Sattel zu heben.«
»Einfach nicht, aber möglich«, sagt Soria. »Er ist nichts weiter als ein elender Schurke mit Blut an den Händen. Er ist stark, weil man nicht weiß, wie er es dazu gebracht hat. Mit den Informationen, die wir gesammelt haben, können wir ihn in aller Öffentlichkeit bloßstellen, er wird nackt wie ein Wurm dastehen. Seine besten Freunde werden ihn fallenlassen. Wenn man ihm erst den Todesstoß versetzt hat, denken alle nur daran, ihre eigene Haut zu retten. Davon bin ich fest überzeugt. Was Sie sagen, ist richtig, Si Cherif. Aber nur, wenn die Verschwörung aufgedeckt wird oder scheitert. Wenn das passiert, zieht sich jeder wieder in sein Schneckenhaus zurück. Es ist erschreckend, was für einen Opportunismus unsere führenden Politiker an den Tag legen. Aber lassen wir uns nicht einschüchtern. Wir sind nur zwei Schritte vom Ziel entfernt. Ich habe schon einen Artikel für meine Zeitung geschrieben. Mit Ihrer Unterstützung wird mein Chef einer Veröffentlichung zustimmen. Sie wissen selbst, daß niemand dieses widerliche Scheusal riechen kann, nicht mal seine eigene Familie. Er wird nicht verehrt, er wird gefürchtet wie die Pest. Das Land wird uns dankbar sein, wenn wir es von ihm befreien. Es wäre einfach unerträglich, wenn wir nach soviel Mühe die Flinte ins Korn werfen würden.«
»Wer redet denn davon, das Handtuch zu werfen?« entgegnet der Che ruhig. »Wenn jemand nicht aufgibt, dann ich. Ich weiß, was dieser Kerl für die Zukunft unseres Landes bedeutet: die schlimmste Katastrophe. Das Problem liegt woanders. Wie gehen wir am wirksamsten vor? Ein falscher Schritt, und das Ganze würde sich gegen uns wenden. Dann wäre er stärker als je zuvor, und niemand würde wagen, sich mit ihm anzulegen. Es geht um alles oder nichts.«
»Sind Sie einverstanden, mich bei der Veröffentlichung meines Artikels zu unterstützen?«
»In den wichtigsten Zeitungen«, verkündet er laut und deutlich. »Und in arabisch, französisch und chinesisch, wenn's dir Spaß macht. Aber das genügt nicht.«
»Außerdem brauche ich ein Fernsehteam. Ich fahre gleich morgen wieder nach Sidi Ba, um ausführlich zu berichten, wie das Massengrab freigelegt wird. Labras bringt mich hin. Wir werden die Exhumierung der Leichen aufnehmen, und so kann es jeder in den Nachrichten verfolgen.«
»Vor allem nichts überstürzen«, sagt der Che.
»Trotzdem, wir müssen schnell handeln, sehr schnell sogar. Unser Erfolg steht und fällt mit dem Faktor Zeit. Wenn dieser Schweinehund Gefahr wittert, wird er seine Vorkehrungen treffen, und wir sitzen in der Falle.«
»Meinen Sie denn, er weiß nicht Bescheid?« werfe ich ein.
»Das Wichtigste weiß er nicht. Er glaubt, daß die Sache in die Hose gegangen ist, daß die ganze Aktion bloß einen Sturm im Wasserglas ausgelöst hat. Sonst hätte er seine Hunde auf uns gehetzt.«
Der Che bittet uns, Ruhe zu bewahren. Unsere konspirative Zusammenkunft zieht sich über Stunden hin: Soria wird ihr Fernsehteam bekommen, ihr Artikel wird in den wichtigsten Tageszeitungen des Landes erscheinen. Aber um das zu bewerkstelligen, bedarf es einer zusätzlichen Belastungsprobe. Ohne sie würde unser Unternehmen platzen. »Und genau an dem Punkt müssen Sie alles aufbieten, Kommissar«, eröffnet mir der Che. Und damit schließen wir uns in seinem Arbeitszimmer ein, um die kleinsten Einzelheiten unseres Komplotts
Weitere Kostenlose Bücher