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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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rannten zur Toilette. Nicky und Davy, die zusammen mit der dienstfreien Besatzung im ersten Abteil vor sich hin gedöst hatten, knöpften ihre Hemdkragen zu, schlüpften in ihre Jacken und eilten davon, um sich um die Leute zu kümmern, die nach ihnen geklingelt hatten.
    Nach einer Weile ging Eddie in die Kombüse, um sich noch einen Kaffee zu holen. Er hatte sein Ziel gerade erreicht, als sich plötzlich die Tür der Herrentoilerte öffnete und Tom Luther blaß und verschwitzt vor ihm stand. Eddie starrte ihn verächtlich an. Am liebsten hätte er den Mann mit bloßen Händen erwürgt, aber er bezwang sich.
    »Ist das immer so?« fragte Luther besorgt.
    Für diese Kreatur hatte Eddie keinen Funken Sympathie. »Nein, normal ist das nicht«, gab er zurück. »Eigentlich sollten wir um den Sturm herumfliegen, aber wir haben nicht genug Treibstoff.«
    »Wie das?«
    »Weil er rapide zur Neige geht.«
    Luther bekam es mit der Angst zu tun. »Aber Sie haben doch gesagt, daß Sie notfalls vor dem Punkt ohne Wiederkehr umdrehen würden!«
    Eddie hatte viel größere Bedenken als Luther, doch verschaffte ihm die Nervosität des Mannes eine gewisse Befriedigung. »Eigentlich hätten wir umkehren sollen. Aber ich habe die Zahlen gefälscht. Ich habe nämlich ganz besonderes Interesse daran, daß dieser Flug pünktlich über die Bühne geht, Sie erinnern sich doch sicher?«
    »Sie sind ja verrückt!« stieß Luther verzweifelt hervor. »Versuchen Sie etwa, uns allesamt umzubringen?«
    »Ich nehme lieber das Risiko auf mich, daß Sie draufgehen, als daß ich meine Frau mit ihren Freunden allein lasse.«
    »Aber wenn wir alle krepieren, ist Ihrer Frau damit auch nicht geholfen!«
    »Da erzählen Sie mir nichts Neues.« Eddie wußte, daß er ein schreckliches Risiko einging, aber er konnte den Gedanken, Carol- Ann noch einen Tag länger in den Händen der Kidnapper zu wissen, nicht ertragen. »Kann schon sein, daß ich verrückt bin«, sagte er zu Luther.
    Luther sah krank aus. »Aber dieses Flugzeug kann doch auf dem Meer landen, oder?«
    »Kann es nicht. Wir können nur auf ruhigen Gewässern niedergehen. Wenn wir in einem solchen Sturm mitten im Atlantik wassern, würde die Maschine binnen Sekunden auseinanderbrechen.«
    »O Gott«, stöhnte Luther. »Ich hätte dieses Flugzeug nie besteigen sollen.«
    »Du hättest meine Frau in Ruhe lassen sollen, du verdammtes Schwein«, stieß Eddie zwischen den Zähnen hervor.
    Die Maschine machte einen wilden Satz. Luther drehte sich um und verschwand stolpernd wieder im Toilettenraum.
    Eddie durchquerte das Abteil Nummer zwei und trat in den Salon. Die Kartenspieler waren auf ihren Sitzen angeschnallt und hielten sich fest. Die Maschine schlingerte und bockte. Über den Teppich kullerten Gläser und eine Flasche, auch ein paar Karten rutschten herum. Eddie blickte den Gang hinunter. Die Passagiere hatten sich nach der anfänglichen Panik wieder beruhigt. Die meisten von ihnen waren in ihre Kojen zurückgekehrt und hatten sich in der Erkenntnis, daß die Schaukelei so am besten zu ertragen war, an Ort und Stelle festgegurtet. Dort lagen sie nun bei geöffneten Vorhängen und fügten sich teils mit heiterer Gelassenheit, teils mit unverhüllter Todesangst der unangenehmen Situation. Alles, was nicht zuvor niet- und nagelfest gewesen war, fand sich inzwischen auf dem Boden wieder. Auf dem Teppich tanzten Bücher, Brillen, Morgenröcke, Wechselgeld, Manschettenknöpfe und all die anderen Dinge, die man sich nachts neben das Bett legt, in buntem Durcheinander. Die Reichen und die Paradiesvögel dieser Welt wirkten plötzlich sehr menschlich, und Eddie wurde von einem quälenden Anfall von schlechtem Gewissen heimgesucht: Werden all diese Menschen hier meinetwegen sterben müssen?
    Er kehrte zu seinem Sitz zurück und schnallte sich an. Am Treibstoffverbrauch konnte er nun nichts mehr ändern, und Carol-Ann konnte er einzig und allein retten, indem er dafür sorgte, daß die Notwasserung nach Plan verlief.
    Das Flugzeug schlingerte weiter durch die Nacht. Eddie setzte alles daran, die in ihm brodelnde Wut zu unterdrücken und über den Fortgang der Aktion nachzudenken.
    Beim Start in Shediac, dem letzten Hafen vor New York, würde er Dienst haben und sich sogleich daranmachen, Treibstoff abzulassen. Die Anzeigen würden natürlich darüber Aufschluß geben, und falls Mickey Finn aus irgendeinem Grund aufs Flugdeck käme, könnte er den Verlust durchaus bemerken. Aber zu diesem Zeitpunkt, also

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