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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Ruhe nachzudenken.
    Wie wird der Austausch vonstatten gehen? Sie müssen Carol- Ann mitbringen. Sie muß auf dem Boot sein, mit dem Gordino fliehen will. Sie müssen sie zum Clipper bringen.
    Warum nicht? Zum Teufel, warum eigentlich nicht?
    Bleibt mir noch genug Zeit, um alles Nötige in die Wege zu leiten? fragte sich Eddie. Er hatte sich bereits ausgerechnet, daß Carol-Ann in einem Radius von vielleicht sechzig bis siebzig Meilen um ihren Wohnort gefangengehalten wurde, und der befand sich etwa siebzig Meilen vom Ort der geplanten Notwasserung entfernt. Im schlimmsten Fall lagen also vier Fahrstunden zwischen dem Schlupfwinkel der Entführer und dem Treffpunkt. War das zu weit?
    Einmal angenommen, Tom Luther ist einverstanden, überlegte Eddie weiter, dann kann er seine Kumpanen von Botwood aus, wo wir gegen neun Uhr morgens britischer Zeit ankommen dürften, anrufen. Von dort aus fliegen wir nach Shediac weiter. Die nicht im Flugplan verzeichnete Notwasserung soll sieben Stunden später, also eine Stunde nach dem Start in Shediac, gegen sechzehn Uhr britischer Zeit erfolgen. Die Bande hat also genug Zeit, Carol-Ann rechtzeitig an Ort und Stelle abzuliefern; es bleiben ihr sogar noch zwei Stunden Reserve.
    Eddies Aufregung bei der Aussicht, Carol-Ann möglicherweise schon früher zurückzubekommen, ließ sich kaum noch unterdrücken. Der Plan bot Eddie überdies eine – wenn auch nur sehr kleine – Chance, Luthers Coup zu durchkreuzen und damit sein Verhalten gegenüber der Clipper-Crew zu rechtfertigen. Wenn sie miterleben, wie ich eine Mörderbande dingfest mache, verzeihen sie mir vielleicht meine Unaufrichtigkeit… Und wieder ermahnte er sich, sich keine allzu großen Hoffnungen zu machen. Bisher war es nichts weiter als eine Idee. Wahrscheinlich ließ Luther sich ja gar nicht auf den Handel ein. Eddie konnte natürlich drohen, im Falle der Ablehnung seiner Bedingungen die Landung des Flugzeugs zu verhindern, doch mußte er damit rechnen, daß die Gangster das für eine leere Drohung halten würden: Sie kalkulierten damit, daß er alles daransetzen würde, um seine Frau zu retten, und damit hatten sie recht. Ihnen geht es nur um die Rettung eines Komplizen, dachte er. Ich bin in einer viel verzweifelteren Lage – und von daher in einer viel schwächeren Verhandlungsposition. Der Gedanke allein genügte, um ihn neuerlich in tiefste Verzweiflung versinken zu lassen.
    Immerhin: Ich kann Luther auf jeden Fall eine Nuß zu knacken geben und ihn in Zweifel und Besorgnis stürzen. Gut möglich, daß er meiner Drohung keinen Glauben schenken wird – aber ein Gefühl der Unsicherheit wird bleiben. Es gehört Courage dazu, ein mögliches Risiko völlig zu ignorieren – und ein Held ist dieser Luther, zumindest im Augenblick, bestimmt nicht… Und überhaupt, dachte Eddie – was habe ich schon zu verlieren? Ich werd‘s versuchen.
    Er erhob sich von seinem Lager. Wahrscheinlich wäre es das beste, den Verlauf des Gesprächs sorgfältig vorzuplanen und sich die richtigen Antworten auf alle denkbaren Einwände Luthers zurechtzulegen, dachte er. Aber seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, und er konnte einfach nicht länger dasitzen und grübeln. Ich muß jetzt handeln – sonst werde ich verrückt, sagte er sich.
    Sich an allem festhaltend, dessen er habhaft werden konnte, hangelte er sich durch das rüttelnde und schüttelnde Flugzeug, bis er den Salon erreichte.
    Luther gehörte zu den Passagieren, die nicht zu Bett gegangen waren. Er saß in einer Ecke und trank Whisky, beteiligte sich allerdings nicht am Kartenspiel. Er hatte wieder Farbe bekommen, schien seine Übelkeit überwunden zu haben und las in der Illustrated London News, einer englischen Zeitschrift. Eddie tippte ihm auf die Schulter. Überrascht und ein wenig ängstlich sah Luther auf. Als er Eddie erblickte, verfinsterte sich seine Miene. »Der Captain hätte gerne ein paar Worte mit Ihnen gewechselt, Mr. Luther«, sagte Eddie.
    Luther wirkte besorgt und rührte sich zunächst nicht vom Fleck, doch als Eddie seiner Aufforderung mit einer gebieterischen Kopfbewegung Nachdruck verlieh, legte er die Zeitschrift beiseite, klinkte den Sicherheitsgurt auf und erhob sich.
    Eddie ging ihm durch den Salon und das Abteil Nummer zwei voran, doch anstatt von dort aus die Treppe zum Flugdeck hinaufzusteigen, öffnete er die Tür zur Herrentoilette und hielt sie Luther auf.
    Ein leichter Gestank nach Erbrochenem lag in der Luft. Leider waren sie nicht

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