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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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inne. Warum eigentlich? Sie holte tief Atem und sah Harry an. Als sich ihre Blicke im Halbdunkel kreuzten, kehrte die Erinnerung an das, was vor dem Nickerchen geschehen war, wieder, und sie sah ihm an, daß er das gleiche dachte. Sie lächelten einander zu: ein wissendes, intimes Lächeln zweier Liebender. Margarets Unruhe verflog. Sie mußte noch nicht fortgehen. Sie wollte bleiben und würde daher auch bleiben, sie hatten noch viel Zeit. Harry schmiegte sich an sie, und sie spürte, wie sein Glied steif wurde. »Geh‘ noch nicht«, bat er. Sie seufzte glücklich. »Na gut, noch nicht«, erwiderte sie und küßte ihn.
    Eddie Deakin hatte sich eisern an der Kandare, glich aber innerlich einem unter Überdruck stehenden Topf, einem Vulkan, kurz vor dem Ausbruch. Er schwitzte unaufhörlich, sein Magen machte ihm zu schaffen, und er konnte kaum still sitzen. Er erledigte seine Arbeit, aber nur mit Ach und Krach.
    Seine Schicht ging um zwei Uhr morgens britischer Zeit zu Ende. Kurz vor Dienstschluß änderte er noch einmal die Daten für drei Treibstoffreserven. Hatte er zuvor einen zu niedrigen Verbrauch angegeben, um den Eindruck zu erwecken, der Treibstoff reiche für den Rest der Reise gerade noch aus, und damit den Captain von der Rückkehr nach Irland abgehalten, so notierte er nun übertrieben hohe Zahlen. Damit verhinderte er, daß Mickey Finn, seine Ablösung, zu Dienstbeginn eine Diskrepanz zwischen der Anzeige und den Zahlen vorfand. Mickey würde sich zwar über die enormen Schwankungen des Treibstoffverbrauchs auf der Howgozit-Kurve wundern, doch Eddie konnte dafür das stürmische Wetter verantwortlich machen. Mickey war ohnehin seine geringste Sorge. Er harte jedoch panische Angst davor, daß dem Flugzeug vor Neufundland der Treibstoff ausgehen würde.
    Sie verfügten nicht einmal mehr über das vorgeschriebene Minimum. Die Vorschriften sahen natürlich eine Sicherheitsmarge vor, doch solche Margen hatten durchaus ihren Sinn. Auf diesem Flug gab es inzwischen nicht mehr genug Treibstoff für mögliche Notfälle wie zum Beispiel den Ausfall eines Motors. Wenn etwas schiefging, würde das Flugzeug in den stürmischen Atlantik stürzen. Mitten auf dem Meer konnten sie nicht sicher zu Wasser gehen, die Maschine würde binnen Minuten untergehen und sämtliche Passagiere und Besatzungsmitglieder mit sich in die Tiefe reißen.
    Kurz vor zwei erschien ein frisch und arbeitseifrig wirkender Mickey auf dem Flugdeck. »Wir haben verdammt wenig Reserven«, sagte Eddie sofort. »Ich habe den Captain bereits informiert.« Mickey nickte unbeteiligt und griff nach der Taschenlampe. Seine erste Aufgabe bei Dienstantritt bestand darin, die vier Motoren mit eigenen Augen zu inspizieren.
    Eddie überließ ihm das Feld und ging hinunter aufs Passagierdeck.
    Der Erste Offizier Johnny Dort, der Navigator Jack Ashford und der Funker Ben Thompson folgten ihm, als auch ihre jeweilige Ablösung erschien. Jack ging zur Kombüse, um sich ein Brot zu machen. Eddie wurde schon beim Gedanken an Essen schlecht. Er holte sich einen Kaffee und suchte sich einen Platz im ersten Abteil.
    Nun, da er nicht mehr arbeitete, hatte er auch keine Ablenkung mehr. Ununterbrochen mußte er an Carol-Ann denken, die sich in der Gewalt der Kidnapper befand.
    In Maine war es jetzt kurz nach einundzwanzig Uhr und bereits dunkel. Im günstigsten Fall war Carol-Ann jetzt müde und niedergeschlagen. Seit Beginn ihrer Schwangerschaft ging sie viel früher zu Bett als sonst. Ob sie ihr wenigstens die Gelegenheit geben, sich irgendwo hinzulegen? dachte er. Dann kann sie sich zumindest ausruhen, auch wenn an Schlaf wohl kaum zu denken sein dürfte… Eddie hoffte, daß der Gedanke ans Zubettgehen in den Köpfen der Halunken, die sie bewachten, nicht irgendwelche Assoziationen auslösen würde…
    Bevor sein Kaffee noch abgekühlt war, schlug der Sturm mit aller Macht zu.
    Der Flug verlief schon seit einigen Stunden recht unruhig, doch nun ging es erst richtig los. Man hätte fast meinen können, auf einem Schiff zu sein. Das massige Flugzeug glich einem Boot, das langsam von den Wogen emporgehoben wurde – und dann um so schneller wieder absackte, das Wellental mit einem dumpfen Schlag traf und dann, von Böen ergriffen und von einer Seite zur anderen geworfen und gerollt, wieder in die Höhe klomm. Eddie saß in einer Koje und stemmte sich mit den Füßen gegen den Eckpfosten. Die Passagiere erwachten einer nach dem anderen, klingelten nach den Stewards und

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