Nacht über den Wassern
vierundzwanzig Stunden nach dem Start in Southampton, war der dienstfreie Teil der Besatzung im allgemeinen nur noch an Schlaf interessiert. Daß andere Crewmitglieder die Treibstoffanzeigen beobachteten, war höchst unwahrscheinlich, vor allem nicht auf einer so kurzen Flugstrecke, auf der der Treibstoffverbrauch kein kritischer Punkt mehr war. Allein der Gedanke, seine Kollegen betrügen zu müssen, war ihm von Grund auf zuwider. Er spürte, wie die Wut in ihm hochstieg, und ballte die Hände zu Fäusten – aber es gab nichts, auf das er hätte einschlagen können. Er versuchte, sich wieder auf seinen Plan zu konzentrieren.
Kurz vor dem von Luther gewünschten Landeplatz würde Eddie noch mehr Treibstoff ablassen. Die Restmenge mußte so bemessen sein, daß gerade noch genug Sprit für die Landung blieb. Wenn es dann soweit war, würde er dem Captain mitteilen müssen, daß sich eine Notlandung nicht mehr vermeiden ließ.
Es kam nun vor allem darauf an, die Reiseroute genau zu beobachten. Die Navigation war noch nicht so weit gediehen, daß sie bei jeder Atlantiküberquerung demselben Kurs folgten. Luther hatte den Ort für das Rendezvous mit seinen Komplizen klug gewählt, war er doch weit und breit der beste Landeplatz für ein Wasserflugzeug. Selbst wenn sie etliche Meilen vom Kurs abkommen sollten, würde Captain Baker die betreffende Bucht ansteuern.
Wenn die Zeit es erlaubte, würde der Captain wütend fragen, wieso ihm, Eddie, der eklatante Treibstoffverlust nicht aufgefallen war, bevor es kritisch wurde. Die einzige Antwort darauf war: Sämtliche Meßgeräte haben sich verklemmt – eine geradezu hanebüchene Erklärung. Eddie knirschte mit den Zähnen. Die Kollegen verlassen sich darauf, daß ich die entscheidende Aufgabe der Überwachung der Treibstoffreserven ordnungsgemäß erfülle, und vertrauen mir ihr Leben an. Auf einmal wird ihnen klarwerden, daß ich sie im Stich gelassen habe… Was wird nach der Landung geschehen? Ein schnelles Motorboot, das bereits auf uns wartet, nähert sich dem Clipper. Captain Baker, froh über das vermeintliche Hilfsangebot, bittet die Gangster an Bord – tut er‘s nicht, so muß ich ihnen die Tür öffnen. Sie werden Ollis Field, den Mann vom FBI, überwältigen und sich mit Frankie Gordino aus dem Staub machen.
Sie werden sich sputen müssen. Der Funker hat natürlich vor der
Wasserung SOS gefunkt. Außerdem ist der Clipper groß genug, um aus der Entfernung gesehen zu werden. Es wird daher nicht lange dauern, bis auch andere Boote uns zu Hilfe kommen. Vielleicht besteht sogar die Chance, daß die Küstenwacht rechtzeitig zur Stelle ist und Gordinos Befreiung vereitelt. Das könnte Luther und seiner Bande den Garaus machen… Eddie wollte schon wieder Hoffnung schöpfen, als ihm einfiel, daß ihm am Gelingen, nicht am Scheitern von Luthers Unternehmen gelegen sein mußte.
Es gelang ihm einfach nicht, sich damit abzufinden, daß er all seine Hoffnungen auf den Erfolg der Verbrecher setzen mußte. Wie, wie, wie konnte er Luther noch einen Strich durch die Rechnung machen? Was immer ihm dazu einfiel, hatte einen Haken: Carol- Ann. Wenn Luther Gordino nicht bekam, dann bekam Eddie auch nicht Carol-Ann.
Gibt es vielleicht die Chance, Gordino innerhalb von vierundzwanzig Stunden nach Carols Befreiung wieder dingfest zu machen? Nein, unmöglich: Er wird längst über alle Berge sein. Es sei denn, es gelingt mir, Luther dazu zu bringen, Carol-Ann schon früher auf freien Fuß zu setzen, aber so dumm, daß er sich auf einen solchen Vorschlag einläßt, ist der Kerl bestimmt nicht. Ich habe keinerlei Druckmittel gegen Luther – im Gegenteil: Luther hat Carol-Ann, und ich habe…
Nun ja, dachte er plötzlich – ich habe Gordino…
Sie haben Carol-Ann in ihrer Gewalt, und wenn ich nicht mit ihnen zusammenarbeite, bekomme ich sie nicht zurück. Aber Gor- dino befindet sich an Bord dieser Maschine, und wenn sie nicht mit mir zusammenarbeiten, kriegen sie Frankie nicht zurück. Vielleicht haben sie ja doch nicht alle Trümpfe in der Hand…
Kann ich es irgendwie so drehen, daß ich bestimme, wie es weitergeht? Daß die Initiative bei mir liegt?
Er starrte blicklos die gegenüberliegende Wand an und zermarterte sich den Kopf.
Es gibt eine Möglichkeit!
Wo steht eigentlich geschrieben, daß sie Gordino zuerst bekommen müssen? Ein Austausch von Geiseln hat zeitgleich zu erfolgen.
Er bekämpfte die Hoffnung, die sich seiner bemächtigen wollte, und zwang sich dazu, in
Weitere Kostenlose Bücher