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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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noch immer benommen und ein wenig schwach auf den Beinen nach ihrem Liebesakt. Aber was soll ich in England tun? dachte sie. Ich kann doch nicht Hausfrau werden!
    Sie erreichten den Landungssteg und schauten über die Bucht. Nancy fragte sich, wie oft in diesem Nest wohl ein Zug hielt, und wollte schon vorschlagen, Erkundigungen einzuholen, als sie bemerkte, daß Mervyn in die Ferne starrte. »Was ist denn da?« fragte sie.
    »Eine Grumman Goose«, gab er nachdenklich zurück.
    Er deutete auf etwas. »Das kleine Wasserflugzeug dort ist eine Grumman Goose. Die sind ziemlich neu – es gibt sie erst seit etwa zwei Jahren. Und sie sind sehr schnell, schneller als der Clipper …« Sie betrachtete die Maschine, ein modern aussehender Eindecker mit geschlossener Kabine und zwei Propellern. Plötzlich war ihr klar, woran Mervyn dachte. Mit einem Wasserflugzeug konnte sie rechtzeitig nach Boston gelangen. »Ob wir es wohl chartern können?« fragte sie zögernd und mit angehaltenem Atem.
    »Das habe ich mich auch gerade gefragt.«
    »Dann komm!« Sie rannte den Landungssteg entlang auf das Flughafengebäude zu, und Mervyn folgte ihr und hielt dank seiner langen Schritte mühelos mit. Ihr Herz pochte wie wild. Vielleicht konnte sie die Firma ja doch noch retten. Aber sie bezwang ihr Hochgefühl. Bestimmt hatte die Sache noch einen Haken.
    Sie betraten das Gebäude, und ein junger Mann in Pan-American- Uniform sagte: »He, Sie haben Ihr Flugzeug verpaßt!«
    Ohne weitere Vorrede fragte Nancy: »Wissen Sie, wem das kleine Wasserflugzeug gehört?«
    »Die Goose? Klar doch. Einem Sägewerkbesitzer namens Alfred Southborne.«
    »Und vermietet er sie auch?«
    »Ja, so oft wie möglich. Möchten Sie die Maschine chartern?« Nancys Herz schlug höher. »Aber ja!«
    »Einer der Piloten ist hier, um sich den Clipper anzusehen.«
    Er trat ein paar Schritte zurück und rief in den angrenzenden Raum hinein: »He, Ned? Hier ist jemand, der die Goose chartern will.«
    Ned kam heraus, ein fröhlicher Mann um die dreißig, der ein Hemd mit Epauletten trug. Er nickte höflich und sagte: »Ich würde Ihnen ja gerne helfen, aber mein Copilot ist nicht da, und für die Goose sind zwei Mann Besatzung erforderlich.«
    Nancys Hoffnung schwand.
    »Ich bin Pilot«, sagte Mervyn.
    Ned sah ihn skeptisch an. »Schon mal ein Wasserflugzeug geflogen?«
    »Ja – die Supermarine«, antwortete Mervyn.
    Nancy hatte noch nie etwas von der Supermarine gehört, aber es mußte sich wohl um eine Sportmaschine handeln, denn Ned schien beeindruckt und fragte: »Fliegen Sie Wettrennen?«
    »Als ich jung war, schon. Jetzt fliege ich nur noch zum Vergnügen. Ich habe eine Tiger Moth.«
    »Tja, wenn Sie eine Supermarine geflogen sind, dann sollten Sie als Copilot auf der Goose keine Schwierigkeiten haben. Und Mr. Southborne ist bis morgen unterwegs. Wohin wollen Sie denn?«
    »Nach Boston.«
    »Kostet tausend Dollar.«
    »Kein Problem!« sagte Nancy. »Aber wir müssen sofort los.«
    Der Mann blickte sie ein wenig erstaunt an. Er hatte wohl angenommen, daß Mervyn das Sagen hatte. »Wir können in ein paar Minuten starten, Madam. Wie zahlen Sie?«
    »Ich kann Ihnen einen Scheck geben, oder Sie können es meiner Firma in Boston, Black‘s Boots, in Rechnung stellen.«
    »Sie arbeiten für Black‘s Boots?«
    »Mir gehört Black‘s Boots.«
    »He, ich trage Ihre Schuhe!«
    Sie schaute hinab. Er trug Modell Oxford, in Schwarz mit verstärkter Spitze, Größe vierzig zu sechs Dollar fünfundneunzig. »Und wie sind Sie mit ihnen zufrieden?« fragte sie aus alter Gewohnheit.
    »Sehr. Das sind gute Schuhe. Wirklich.«
    Sie lächelte. »Ja«, sagte sie. »Das sind gute Schuhe.«

6. Kapitel

W ährend der Clipper über New Brunswick in den Himmel stieg und Kurs auf New York nahm, war Margaret schier außer sich vor Sorge. Wo war Harry?
    Die Polizei hatte herausgefunden, daß er unter falschem Namen reiste, soviel hatte sich unter den Passagieren allmählich herumgesprochen. Margaret hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie es herausgefunden hatten, aber die Frage war jetzt ohnehin rein akademischer Natur. Wichtiger war, was sie mit ihm machen würden, wenn sie ihn schnappten. Wahrscheinlich schickten sie ihn nach England zurück, wo man ihn dann entweder wegen des Diebstahls der elenden Manschettenknöpfe ins Gefängnis stecken oder ihn aber zum Militärdienst verpflichten würde. Wie sollte sie ihn da je wiederfinden?
    Soweit sie wußte, war er ihnen noch nicht ins Netz

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