Nacht über den Wassern
neben Diana und sagte: »Entschuldigen Sie bitte, aber können Sie mir sagen, was mit Mr. Lovesey und Mrs. Lenehan passiert ist?«
»Was mit ihnen passiert ist?« Diana war sichtlich überrascht. »Sind sie nicht in ihrer Suite?«
»Nein – sie sind nicht an Bord.«
»Wirklich?« Die Überraschung verwandelte sich in Bestürzung. »Wieso das denn? Haben sie den Abflug verpaßt?«
»Nancys Bruder sagt, sie hätten sich entschlossen, die Reise nicht fortzusetzen. Aber ich traue ihm nicht.«
Diana wirkte ärgerlich. »Mir haben sie jedenfalls nichts davon gesagt.«
Margaret schaute Dianas Begleiter, den sanftmütigen Mark, fragend an. »Also, mir haben sie sich bestimmt nicht anvertraut«, meinte er.
»Ich hoffe nur, daß ihnen nichts passiert ist.« In Dianas Stimme schwang Besorgnis mit.
»Wie meinst du das, Liebling?« erkundigte sich Mark.
»Ich weiß auch nicht genau. Ich hoffe nur, daß alles in Ordnung ist.«
Margaret nickte zustimmend. »Ich traue Nancys Bruder nicht. Meiner Meinung nach ist er nicht ehrlich.«
Mark sagte: »Da könnten Sie recht haben, aber ich glaube nicht, daß wir etwas unternehmen können, vor allem nicht hier oben in den Wolken, und außerdem …«
»Ich weiß, es geht mich nichts mehr an«, unterbrach ihn Diana unwirsch. »Aber schließlich waren wir lange verheiratet. Ja, ich mache mir Sorgen um ihn.«
»Wahrscheinlich hat er in Port Washington eine Nachricht für dich hinterlassen«, sagte Mark beschwichtigend.
»Hoffentlich«, gab Diana zurück.
Steward Davy berührte Margaret am Arm. »Das Mittagessen ist angerichtet, Lady Margaret. Ihre Familie sitzt bereits zu Tisch.«
»Danke.« Margaret war ganz und gar nicht nach Essen zumute. Aber die beiden konnten ihr auch nicht weiterhelfen.
Als Margaret sich erhob, fragte Diana: »Sind Sie mit Mrs. Lenehan befreundet?«
»Sie wollte mir eine Stelle besorgen«, sagte Margaret bitter, drehte sich um und biß sich auf die Unterlippe.
Ihre Eltern und Percy saßen bereits im Speiseraum, wo der erste Gang aufgetragen wurde: Hummercocktail. Der Hummer war ganz frisch und stammte aus Shediac. Margaret setzte sich und sagte automatisch: »Entschuldigt, daß ich mich verspätet habe.« Vater warf ihr nur einen finsteren Blick zu.
Sie stocherte in ihrem Essen herum. Am liebsten hätte sie den Kopf auf den Tisch gelegt und bitterlich geweint. Harry und Nancy hatten sie ohne Vorwarnung im Stich gelassen. Sie stand wieder am Nullpunkt. Ohne Chance, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, ohne Freunde, die ihr unter die Arme greifen konnten. Es war einfach ungerecht: Sie hatte versucht, es Elizabeth gleichzutun und alles sorgfältig zu planen, und nun war ihr Plan wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen.
Der Hummer wurde abgetragen und durch Nierchensuppe ersetzt. Margaret nippte nur kurz daran und legte den Löffel beiseite. Sie war müde und gereizt, hatte Kopfschmerzen und keinen Hunger. Der luxuriöse Clipper kam ihr immer mehr wie ein Gefängnis vor. Sie waren jetzt beinahe siebenundzwanzig Stunden lang unterwegs, und es reichte ihr. Sie wollte in einem richtigen Bett schlafen, mit weicher Matratze und jeder Menge Kissen, und sich dort eine Woche lang verkriechen.
Bei den anderen machte sich die Anspannung ebenfalls bemerkbar. Mutter sah blaß und müde aus. Vater hatte einen Kater; seine Augen waren gerötet, und sein Atem roch nach Alkohol. Percy war unruhig und zappelig wie jemand, der zuviel starken Kaffee getrunken hat. Er hatte für Vater nur feindselige Blicke übrig. Margaret hatte das Gefühl, ihr Bruder hecke wieder einmal einen ganz besonderen Streich aus.
Als Hauptgericht standen gebratene Seezunge mit Sauce Cardi- nale und Filetsteak zur Auswahl. Margaret war weder an dem einen noch an dem anderen interessiert, entschied sich aber für den Fisch, der mit Kartoffeln und Rosenkohl serviert wurde. Sie bat Nicky um ein Glas Weißwein.
Sie mußte an die öden Tage denken, die ihr bevorstanden. Ich werde mit Vater und Mutter im Waldorf wohnen, und kein Harry wird sich auf mein Zimmer schleichen. Ich werde allein im Bett liegen und mich nach ihm sehnen. Dann muß ich Mutter auf ihren Einkaufstouren begleiten und Kleider kaufen. Und dann siedeln wir alle nach Connecticut über, wo man mich ungefragt im Reit- und im Tennisclub anmelden wird. Die ersten Party-Einladungen werden ins Haus flattern, Mutter wird schleunigst dafür sorgen, daß ich in die »richtigen« gesellschaftlichen Kreise eingeführt werde, und eh ich
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