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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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mich versehe, kommen auch schon die »richtigen« jungen Männer zum Tee, zu Cocktails oder zu Fahrradausflügen ins Haus geschneit. Was wird aus meinem Kriegseinsatz für England?
    Je mehr sie darüber nachdachte, um so niedergeschlagener wurde sie.
    Zum Nachtisch gab es Apfelkuchen mit Sahne oder Eis mit Schokoladensoße. Margaret bestellte Eis und ließ nichts davon übrig.
    Vater ließ sich einen Brandy zum Kaffee servieren und räusperte sich. Eine Rede kündigte sich an. Will er sich etwa für die schreckliche Szene beim gestrigen Abendessen entschuldigen? dachte Margaret. Wohl kaum.
    »Deine Mutter und ich haben uns über dich unterhalten«, hub er an.
    »Wie über ein ungehorsames Stubenmädchen, wie?« gab Margaret schnippisch zurück.
    »Du bist ein ungehorsames Kind«, sagte Mutter.
    »Ich bin neunzehn Jahre alt und bekomme regelmäßig seit sechs Jahren meine Periode – wie kann ich da ein Kind sein?«
    »Psst!« sagte Mutter schockiert. »Allein die Tatsache, daß du in Anwesenheit deines Vaters solche Worte in den Mund nimmst, beweist, daß du noch nicht erwachsen bist!«
    »Ich geb‘s auf«, erklärte Margaret, »gegen euch komme ich nicht an.«
    Vater sagte: »Dein törichtes Benehmen bestätigt nur, was wir bereits gesagt haben. Es gibt keinen Verlaß darauf, daß du ein normales gesellschaftliches Leben mit den Menschen deiner Klasse führen kannst.«
    »Gott sei Dank!«
    Percy lachte laut auf, und Vater strafte ihn mit einem bösen Blick, obwohl er weiterhin auf Margaret einredete. »Wir haben darüber nachgedacht, wohin wir dich schicken könnten, über einen Ort, an dem du möglichst wenig Unheil stiften kannst.«
    »Ein Kloster vielleicht?«
    Freche Bemerkungen war er von ihrer Seite nicht gewöhnt. Er beherrschte sich mühsam. »Durch solches Geschwätz machst du die Sache nicht besser!«
    »Besser? Was könnte es Besseres für mich geben? Meine liebenden Eltern bestimmen über meine Zukunft, wobei sie nur mein Bestes im Sinn haben, was bleibt da noch zu wünschen übrig?«
    Sie stellte überrascht fest, daß ihrer Mutter eine Träne über das Gesicht lief. »Du bist sehr grausam, Margaret«, sagte Lady Oxenford und wischte die Träne fort.
    Margaret war gerührt. Der Anblick der weinenden Mutter schwächte ihre Widerstandskraft und stimmte sie versöhnlicher. Ruhig fragte sie: »Und was soll ich tun, Mutter?«
    Vater beantwortete ihre Frage. »Du wirst zu deiner Tante Clare ziehen. Sie wohnt in Vermont, ziemlich abgelegen in den Bergen. Dort gibt es niemanden, den du in Verlegenheit bringen kannst.«
    Mutter fügte hinzu: »Meine Schwester Clare ist eine wunderbare Frau. Sie hat nie geheiratet und ist die Seele der Episkopalkirche in Brattleboro.«
    Margaret packte die kalte Wut, aber sie beherrschte sich und fragte: »Wie alt ist Tante Clare?«
    »Mitte Fünfzig.«
    »Lebt sie allein?«
    »Abgesehen von den Dienstboten, ja.«
    Margaret zitterte vor Wut. »Das ist also die Strafe dafür, daß ich mein Leben selbst bestimmen will«, sagte sie mit bebender Stimme. »Ihr schickt mich ins Exil zu einer verrückten alten Jungfer in den Bergen. Und wie lange soll ich eurer Meinung nach dort bleiben?«
    »Bis du dich beruhigt hast«, sagte Vater. »Ein Jahr vielleicht.«
    »Ein Jahr!« Es kam ihr wie lebenslänglich vor. Aber sie konnten sie nicht zwingen dortzubleiben. »Seid doch nicht so dumm. Da werde ich verrückt, bringe mich um oder laufe fort.«
    »Ohne unsere Einwilligung wirst du diesen Ort nicht verlassen«, erklärte Vater. »Und wenn doch…« Er zögerte.
    Margaret schaute ihm ins Gesicht. Mein Gott, dachte sie, selbst er schämt sich dessen, was er da sagen will. Was, um Himmels willen, hat er sich denn nun schon wieder einfallen lassen?
    Er preßte die Lippen energisch zusammen und sagte: »Wenn du wegläufst, werden wir dich für verrückt erklären und in eine Nervenheilanstalt einweisen lassen.«
    Margaret schnappte nach Luft. Sie war sprachlos vor Entsetzen. Daß er zu solcher Grausamkeit fähig war, wäre ihr nie in den Sinn gekommen. Sie sah ihre Mutter an, aber diese wich ihrem Blick aus.
    Percy erhob sich und warf seine Serviette auf den Tisch. »Du verdammter alter Idiot, jetzt bist du völlig durchgedreht«, sagte er und ging hinaus.
    Wenn Percy vor einer Woche so geredet hätte, wäre es ihm teuer zu stehen gekommen, aber heute achtete man gar nicht auf ihn.
    Margaret sah ihren Vater an. Auf seinem Gesicht spiegelten sich Schuld, Trotz und Unbeugsamkeit. Er wußte, daß

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