Nacht über den Wassern
haben keine Schuhe und Löcher in den Strümpfen. Wenn Sie unbedingt wegmüssen, ehe Ihr Vater kommt, sollten Sie ein Taxi nehmen. Wir rufen eines für Sie.«
Sie überlegte kurz. Der Polizist hatte Vater gleich angerufen, als sie hier im Revier angekommen waren, doch das war noch keine Stunde her. Vater konnte frühestens in einer Stunde hier sein. »Gut«, sagte sie zu dem freundlichen Sergeanten. »Danke.«
Er öffnete die Tür zum Gang. »Sie haben es hier bequemer, während Sie auf das Taxi warten.« Er schaltete das Licht ein.
Margaret wäre lieber auf der Bank sitzen geblieben und hätte sich mit dem faszinierenden Harry Marks unterhalten, aber sie wollte den Sergeanten nicht mit einer Ablehnung kränken, schon gar nicht, nachdem er ihrem Wunsch nachgegeben hatte. »Danke«, sagte sie erneut.
Während sie zur Tür ging, hörte sie Harry sagen: »Das sollten Sie lieber nicht tun!«
Sie trat in das kleine Zimmer. Es war mit ein paar billigen Stühlen und einer Bank ausgestattet, eine Glühbirne ohne Schirm hing von der Decke, und das Fenster war vergittert. Sie verstand nicht, wieso der Sergeant diesen Raum für bequemer halten konnte. Sie drehte sich um, um es ihm zu sagen.
Die Tür schloß sich vor ihrer Nase. Eine schreckliche Ahnung befiel sie. Sie sprang zur Tür und griff nach der Klinke. In diesem Moment wurde ihre Befürchtung bestätigt, und sie hörte, wie der Schlüssel sich im Schloß drehte. Sie rüttelte heftig an der Klinke. Die Tür öffnete sich nicht.
Von draußen hörte sie ein leises Lachen, dann Harrys Stimme gedämpft, aber verständlich: »Sie Dreckskerl!«
Die Stimme des Sergeanten klang nun alles andere als freundlich. »Maul halten!« knurrte er.
»Sie haben kein Recht dazu, das wissen Sie ganz genau!«
»Ihr Vater ist ein verdammter Lord, und das gibt mir das Recht.« Mehr wurde nicht gesagt.
Verbittert erkannte Margaret, daß sie verloren hatte. Ihre so vielversprechende Flucht war gescheitert. Ausgerechnet die Leute hatten sie verraten, von denen sie dachte, sie würden ihr helfen. Eine Zeitlang war sie frei gewesen, damit war nun Schluß. Sie würde sich heute nicht zum A.T.S. melden können, dachte sie niedergeschlagen; statt dessen würde sie an Bord eines Pan-Am-Clippers gehen und nach New York fliegen, vor dem Krieg davonlaufen. Trotz allem, was sie durchgemacht hatte, änderte sich nichts an ihrem Schicksal. Es war alles so furchtbar ungerecht.
Sie drehte sich um und ging mit hängenden Schultern die paar Schritte zum Fenster. Durch das Gitter konnte sie einen leeren Hof sehen und eine Ziegelmauer. Niedergeschlagen und hilflos blickte sie ins heller werdende Tageslicht und wartete auf ihren Vater.
Eddie Deakin checkte den Pan-American-Clipper ein letztes Mal durch. Die vier Wright Cyclone 1500-PS-Motoren glänzten vor Öl. Jede Maschine war so groß wie ein Mann. Alle sechsundfünfzig Zündkerzen waren gegen neue ausgetauscht worden. Einer Eingebung folgend, holte Eddie eine Fühlerlehre aus seiner Overalltasche und schob sie in eine Motorbefestigung zwischen Gummi und Metall. Die Vibration während des langen Fluges beanspruchte das Material außerordentlich. Aber Eddies Fühlerlehre drang nicht einmal sechs Millimeter ein. Die Verbindungen hielten.
Er schloß die Klappe und stieg die Leiter hinunter. Während das Flugzeug vorsichtig ins Wasser gelassen wurde, schlüpfte er aus seinem Overall, machte sich frisch und zog seine schwarze Pan- American-Fluguniform an.
Die Sonne schien, als er den Hafen verließ und den Hügel hinauf zu dem Hotel schritt, in dem die Besatzung während des hiesigen Aufenthalts untergebracht war. Er war stolz auf das Flugzeug und seine Arbeit. Die Clipper-Crew war eine gesonderte Elitetruppe, die Besten der Fluggesellschaft, denn die neue Transatlantiklinie war die Renommierroute von Pan Am. Sein Leben lang würde er damit angeben können, daß er als einer der ersten bei den Transatlantiklinienflügen dabeigewesen war.
Aber er beabsichtigte, seine Stellung bald zu wechseln. Er war jetzt dreißig, seit einem Jahr verheiratet, und Carol-Ann war schwanger. Für einen Alleinstehenden war an seinem Job nichts auszusetzen, aber er hatte nicht vor, sein Leben fern von Frau und Kindern zu verbringen. Er hatte gespart und schon fast genug beisammen, um sich selbständig zu machen. Er hatte ein Grundstück in der Nähe von Bangor in Maine in Aussicht, das einen großartigen kleinen Flugplatz abgeben würde. Dort wollte er die Wartung von
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