Nacht über den Wassern
gehorchen Sie seinen Befehlen bis aufs I-Tüpfelchen, wenn Sie Ihre Frau wiedersehen wollen!«
Wie soll ich wissen …«
»Noch was. Verständigen Sie nicht die Polizei. Es würde Ihnen absolut nichts nützen. Aber wenn Sie es tun, fick‘ ich Ihre Frau, bloß um Ihnen eins auszuwischen.«
»Sie Mistkerl, ich werde …«
Der andere legte auf.
Harry Marks war ein Glückspilz.
Seine Mutter hatte ihm immer versichert, daß er ein Glückskind sei. Zwar war sein Vater im Krieg gefallen, aber zu seinem Glück hatte er eine starke und fähige Mutter, die ihn großzog. Sie putzte Büros für ihren Lebensunterhalt, und selbst während der Weltwirtschaftskrise war sie keinen Tag arbeitslos gewesen. Sie wohnten in einer Mietskaserne in Battersea, wo es nur auf den Fluren jedes Stockwerks Wasserhähne gab und die Aborte sich im Freien befanden, aber sie hatten nette Nachbarn, die einander in schwierigen Zeiten aushalfen. Und was auch passierte, Harry hatte stets Glück. Wenn der Lehrer in der Klasse Schläge verteilte, brach sein Rohrstock gewöhnlich, kurz bevor Harry an der Reihe gewesen wäre. Harry hätte vor ein Fuhrwerk fallen können, und die Räder wären an ihm vorbeigerollt, ohne ihm auch nur ein Haar zu krümmen.
Seine Vorliebe für Schmuck hatte ihn zum Dieb gemacht.
Als Halbwüchsiger war er gern durch die prächtigen Geschäftsstraßen des West Ends geschlendert und hatte die Schaufenster von Juwelierläden bestaunt. Er war hingerissen von den Brillanten und Edelsteinen, die auf dunklem Samt in hell beleuchteten Auslagen prangten. Er liebte sie um ihrer Schönheit willen, aber auch, weil sie Symbol einer Lebensart waren, über die er in Büchern gelesen hatte, ein Leben in großen Herrenhäusern mit Grünanlagen ringsum, wo hübsche Mädchen mit Namen wie Lady Penelope und Jessica Chumley den ganzen Nachmittag Tennis spielten und dann erschöpft ins Haus gingen, um Tee zu trinken.
Er hatte eine Lehrstelle bei einem Goldschmied bekommen, aber er war zu gelangweilt und unruhig gewesen und hatte sie nach sechs Monaten aufgegeben. Gerissene Bänder von Armbanduhren zusammenzuflicken und für übergewichtige Gattinnen Eheringe zu weiten entbehrte jeglichen Reizes für ihn. Aber er hatte in dieser Zeit gelernt, einen Rubin von einem Granat zu unterscheiden, eine Zuchtperle von einer natürlich gewachsenen und einen modernen Brillantschliff von einem aus dem neunzehnten Jahrhundert. Er hatte auch den Unterschied zwischen einer gefälligen Fassung und einer plumpen, einem eleganten Design und einem geschmacklos protzigen kennengelernt. Und diese Fähigkeit zu unterscheiden, hatte seine Schwäche für edlen Schmuck ebenso verstärkt wie sein Verlangen nach dem dazugehörenden Lebensstil.
Er fand schließlich eine Möglichkeit, beide Neigungen zu befriedigen, indem er sich Mädchen wie Rebecca Maugham-Flint zu Nutzen machte.
Rebecca hatte er in Ascot kennengelernt. Er lernte häufig reiche Mädchen bei Rennen kennen. Die Veranstaltung im Freien und die Menschenmenge ermöglichten es ihm, sich so zwischen zwei Gruppen von jungen Besuchern zu halten, daß jeder dachte, er gehöre zur anderen Gruppe. Rebecca war ein kräftiges Mädchen mit großer Nase. Ihr gräßliches gerüschtes Jerseykleid und ihre Robin-Hood-Kopfbedeckung verrieten, daß sie sich nicht zu kleiden verstand. Keiner kümmerte sich um sie, und so war sie auf geradezu überschwengliche Weise dankbar, daß Harry mit ihr plauderte.
Er hatte die Bekanntschaft nicht sogleich vertieft, denn es war besser, nicht aufdringlich zu wirken. Aber als er ihr einen Monat später zufällig in einer Kunstgalerie begegnet war, hatte sie ihn wie einen alten Freund begrüßt und ihn ihrer Mutter vorgestellt.
Mädchen wie Rebecca besuchten natürlich Lokale und Lichtspieltheater mit jungen Männern nicht ohne Anstandsdame, so etwas kam nur für Verkäuferinnen und Fabrikarbeiterinnen in Frage. Aus diesem Grund erzählten sie ihren Eltern, daß sie mit einer ganzen Gruppe ausgingen; und damit es den richtigen Eindruck erweckte, begannen sie den Abend gewöhnlich auf einer Cocktailparty. Danach konnten sie sich diskret paarweise absetzen. Das paßte Harry gut. Da er Rebecca nicht offiziell den »Hof machte«, hielten ihre Eltern es nicht für nötig, sich näher über ihn zu erkundigen, und sie stellten seine vagen Äußerungen über ein Landhaus in Yorkshire und eine kleine Privatschule in Schottland ebenso wenig in Frage wie die über eine Mutter, die um ihrer
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