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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Schlachtfeld folgen. Sie würden heiraten und Kinder haben. Er kehrte nach Hause zurück, und sie ging mit ihm.
    Ihre Zwillingsnichten würden ihr fehlen. Sie fragte sich, wann sie sie wiedersehen würde. Vielleicht waren sie dann schon erwachsen und trugen Büstenhalter und Make-up statt weißen Söckchen und baumelnden Zöpfen.
    Aber vielleicht würde sie auch eigene kleine Mädchen haben…
    Sie war schrecklich aufgeregt, daß sie mit einem Pan-American- Clipper reisen würde. Sie hatte im Manchester Guardian alles darüber gelesen, doch nicht im Traum daran gedacht, daß sie einmal selbst damit fliegen würde. In kaum mehr als einem Tag nach New York zu kommen, erschien ihr wie ein Wunder.
    Sie hatte Mervyn einen kurzen Brief geschrieben, doch nichts davon, was sie ihm wirklich hatte sagen wollen. Es stand auch nicht darin, daß er langsam, aber unausweichlich ihre Liebe durch seine Achtlosigkeit und Gleichgültigkeit verloren hatte oder wie wundervoll sie Mark fand. Lieber Mervyn, hatte sie geschrieben, ich verlasse Dich. Ich spüre, daß Deine Gefühle für mich erkaltet sind, und ich habe mich in einen anderen verliebt. Wenn Du dies liest, werden wir bereits in Amerika sein. Es tut mir sehr leid für Dich, aber es ist zu einem guten Teil Deine eigene Schuld. Sie wußte nicht so recht, wie sie unterschreiben sollte – »in Liebe« oder »Deine« wäre unpassend –, also schrieb sie nur »Diana«.
    Zuerst hatte sie vorgehabt, den Brief zu Hause auf den Küchentisch zu legen. Doch dann quälte sie der Gedanke, daß Mervyn seine Pläne möglicherweise umwarf und, statt in seinem Club zu übernachten, doch nach Hause kam; dann würde er den Brief finden und ihr und Mark vielleicht Schwierigkeiten machen, ehe sie das Land verlassen hatten. Deshalb hatte sie den Brief an seine Fabrik gesandt, wo er heute ankommen mußte.
    Sie blickte auf ihre Armbanduhr (ein Geschenk von Mervyn, der stets auf ihre Pünktlichkeit bedacht war). Sie kannte seinen Tagesablauf, der immer gleich war: Er verbrachte den größten Teil des Vormittags in der Werkshalle, gegen Mittag ging er dann hinauf in sein Büro und sah – vor dem Essen – seine Post durch. Diana hatte groß PERSÖNLICH auf den Umschlag geschrieben, damit seine Sekretärin ihn nicht öffnete. Er würde zwischen einer Menge Rechnungen, Bestellungen, Geschäftsschreiben und innerbetrieblichen Mitteilungen liegen. Vielleicht las er ihn in diesem Augenblick. Bei diesem Gedanken regte sich ihr Schuldbewußtsein, und sie war traurig, aber auch erleichtert, daß über dreihundert Kilometer zwischen ihnen lagen.
    »Unser Taxi ist da«, sagte Mark.
    Sie war ein wenig nervös. Über den Atlantik in einem Flugzeug!
    Mark blickte sie an. »Es wird Zeit.«
    Sie unterdrückte ihre Angst, setzte die Kaffeetasse ab, stand auf und schenkte ihm ihr strahlendstes Lächeln. »Ja«, sagte sie glücklich. »Zeit zum Fliegen.«
    Eddie war Mädchen gegenüber immer schüchtern gewesen.
    Annapolis hatte er sozusagen unberührt verlassen. Während seiner Stationierung in Pearl Harbor hatte er sich mit Prostituierten eingelassen, aber das hatte ihm nur Ekel vor sich selbst eingebracht. Nachdem er die Marine verlassen hatte, blieb er allein, und wenn ihn das Verlangen nach einer Frau packte, fuhr er ein paar Kilometer weit zu einer Bar. Carol-Ann war Bodenhosteß der Fluggesellschaft in Port Washington, Long Island, gewesen, dem New Yorker Terminal für Wasserflugzeuge – eine sonnengebräunte Blondine mit blauen Augen. Eddie hätte es nie gewagt, sie um eine Verabredung zu bitten. Aber eines Tages gab ihm ein junger Bordfunker in der Kantine zwei Karten für ein Theaterstück, das am Broadway gespielt wurde, und als Eddie sagte, daß er niemanden hatte, den er mitnehmen könnte, wandte sich der Funker einfach zum Nebentisch um und fragte Carol-Ann, ob sie Lust hätte mitzukommen.
    »Klar«, antwortete sie, und da wußte Eddie plötzlich, daß sie aus seiner Welt war.
    Später erfuhr er, daß sie sich entsetzlich einsam gefühlt hatte, denn sie war ein Mädchen vom Land, wie sie es selbst nannte, und die blasierte Art der New Yorker schüchterte sie ein. Sie war sinnlich, aber sie wußte nicht, was sie tun sollte, wenn Männer versuchten, sich Freiheiten herauszunehmen, deshalb ließ sie in ihrer Verlegenheit von vornherein alle entrüstet abblitzen, die ihr Avancen machten. Ihre durch Unsicherheit bedingte abweisende Haltung brachte ihr bald den Namen »Eisprinzessin« ein, deshalb wurde sie

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