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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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häßlich, aber sie hatte regelmäßige Züge – eine gerade Nase, glattes dunkles Haar und ein energisches Kinn – und wirkte attraktiv, wenn sie sich entsprechend kleidete, was fast immer der Fall war. Heute trug sie ein federleichtes Flanellkostüm in Kirschrot, dazu eine graue Seidenbluse. Die Jacke war der Mode entsprechend taillenbetont, und eben das war es, was ihr verriet, daß sie zugenommen hatte. Als sie die Jacke zuknöpfte, bildete sich eine leichte, aber unverkennbare Falte, und die unteren Knöpfe drohten die Knopflöcher zu sprengen.
    Es gab nur eine Erklärung dafür: Die Taille der Kostümjacke war schmäler als die von Mrs. Lenehan.
    Gewiß lag es daran, daß sie den ganzen August hindurch, zu Mittag und Abend, in den besten Restaurants von Paris gespeist hatte. Sie seufzte. Sie würde während der ganzen Fahrt über den Atlantik eine Diät machen. Bis sie in New York ankam, hatte sie bestimmt ihre alte Figur zurück.
    Sie hatte noch nie zuvor eine Diät gemacht. Ihr graute nicht davor, denn obwohl sie gutes Essen schätzte, war sie nicht versessen darauf. Was sie jedoch beunruhigte, war die Vermutung, daß ihre Gewichtszunahme etwas mit ihrem Alter zu tun hatte.
    Heute war ihr vierzigster Geburtstag.
    Sie war immer schlank gewesen und sah gut aus in teuren, maßgeschneiderten Kostümen. Sie hatte die Mode der zwanziger Jahre mit dem drapierten, flachen Look gar nicht gemocht und war glücklich gewesen, als die Taille wieder betont wurde. Nichts tat sie lieber, als durch die Geschäfte zu streifen, und sie sparte weder Zeit noch Geld, wenn sie einen Einkaufsbummel machte.
    Manchmal bediente sie sich der Ausrede, daß sie gut gekleidet sein mußte, weil sie in der Modebranche tätig war, aber in Wirklichkeit kleidete sie sich gut, weil es ihr Freude machte.
    Ihr Vater hatte 1899, ihrem Geburtsjahr, in Brockton, Massachusetts, in der Nähe von Boston, eine Schuhfabrik gegründet. Er ließ sich teure Markenschuhe aus London schicken, stellte billige Kopien her und nutzte das Plagiat auch noch zu Werbungszwecken: Auf seinen Anzeigen setzte er einen Londoner Schuh, der 29 Dollar kostete, neben einen ebenso aussehenden von Black für 10 Dollar und fragte: »Erkennen Sie einen Unterschied?« Er arbeitete hart, und sein Einsatz machte sich bezahlt. Während des Weltkriegs erhielt er seinen ersten Auftrag für das Militär, das er auch jetzt noch belieferte.
    In den zwanziger Jahren baute er eine Ladenkette, hauptsächlich in New England, auf, die nur seine Schuhe verkaufte. Als die Wirtschaftskrise zuschlug, reduzierte er die Modelle von tausend auf fünfzig und führte einen Standardpreis von 6,60 Dollar für jedes Paar Schuhe ein, egal welches Modell. Sein Wagemut machte sich bezahlt; während so gut wie alle anderen bankrott gingen, machte Black Gewinn.
    Er pflegte zu sagen, daß es ebenso viel kostete, minderwertige Schuhe herzustellen wie gute, und daß er keinen Grund sah, weshalb Arbeiter schlechte Schuhe tragen müßten. Zu einer Zeit, als arme Leute sich Schuhe mit Sohlen aus Pappe kauften, die in wenigen Tagen durchgelaufen waren, konnte man Black‘s Boots billig bekommen, und sie hatten obendrein eine lange Lebensdauer. Black war stolz darauf und seine Tochter Nancy ebenfalls. Für sie rechtfertigten die guten Schuhe, die ihre Familie herstellte, die riesige Villa an der Back Bay, in der sie wohnten, den großen Packard mit Chauffeur, die Parties, ihre schönen Kleider und die Dienstboten. Anders als manche der reichen Töchter sah sie ererbten Besitz nicht als selbstverständlich an.
    Sie wollte, sie hätte das gleiche für ihren Bruder sagen können.
    Peter war achtunddreißig. Als Papa vor fünf Jahren starb, hinterließ er Peter und Nancy die gleichen Geschäftsanteile – vierzig Prozent für jeden. Papas Schwester erhielt zehn Prozent und die restlichen zehn gingen an Danny Riley, seinen zwielichtigen alten Anwalt.
    Nancy hatte immer damit gerechnet, nach dem Tod ihres Vaters die Firma zu übernehmen. Papa hatte sie Peter vorgezogen. Eine Frau an der Spitze eines Unternehmens war nicht alltäglich, aber vor allem in der Bekleidungsindustrie nicht ungewöhnlich.
    Papa hatte einen Geschäftsführer gehabt, Nat Ridgeway, einen sehr tüchtigen Mann, der keinen Zweifel daran ließ, daß er sich für den richtigen Mann an der Spitze von Black‘s Boots hielt.
    Aber Peter wollte diesen Posten ebenfalls, und er war der Sohn. Nancy hatte immer ein schlechtes Gewissen gehabt, weil sie Papas

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