Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
Vom Netzwerk:
Unterwäsche hereinkam und anfing Brötchen zu toasten; oder er rasierte sich, und sie trat lediglich im Höschen, ohne BH, neben ihn und putzte sich die Zähne; oder sie trat splitternackt mit seinem Frühstück auf dem Tablett ins Schlafzimmer. Er fragte sich, ob sie »sexbesessen« war. Er hatte dieses Wort von anderen gehört. Aber er mochte sie, wie sie war. Er mochte sie so sogar sehr. Nie hätte er es sich träumen lassen, daß er eine so schöne Frau haben würde, die unbekleidet in seinem Haus herumwanderte. Welch ein Glück er doch hatte!
    Ein Jahr mit ihr hatte ihn völlig verändert. Er hatte seine Hemmungen verloren; er ging nackt aus dem Schlafzimmer ins Bad; manchmal zog er nicht einmal einen Schlafanzug an, wenn er sich niederlegte; einmal hatte er sie sogar im Wohnzimmer geliebt, hier auf dieser Couch.
    Eddie fragte sich manchmal, ob diese Art von Verhalten noch normal war, aber dann sagte er sich, daß es keine Rolle spielte. Er und Carol-Ann konnten tun, was ihnen gefiel. Als er das akzeptiert hatte, fühlte er sich wie ein Vogel, den man aus dem Käfig befreit hatte. Es war unglaublich; es war wundervoll; es war wie im siebenten Himmel.
    Er saß wortlos neben ihr und genoß es ganz einfach, bei ihr zu sein und die würzige Luft zu atmen, die aus dem Wald durch die offenen Fenster kam. Seine Tasche war gepackt, und in ein paar Minuten mußte er nach Port Washington aufbrechen. Carol-Ann hatte ihre Stellung bei der Pan American aufgegeben – sie konnte nicht in Maine wohnen und in New York arbeiten – und einen Job in einem Laden in Bangor angenommen. Darüber wollte Eddie mit ihr sprechen, ehe er losfuhr.
    Carol-Ann blickte von ihrer Zeitschrift auf und fragte: »Was?« »Ich habe doch gar nichts gesagt.«
    »Aber du willst etwas sagen, nicht wahr?«
    Er grinste. »Woher weißt du das?«
    »Eddie, du müßtest doch inzwischen wissen, daß ich es hören kann, wenn die Rädchen in deinem Gehirn arbeiten. Was gibt es?«
    Er legte seine große Hand auf ihren Bauch und fühlte die leichte, pralle Rundung. »Ich möchte, daß du deinen Job aufgibst.«
    »Dazu ist es zu früh …«
    »Das ist schon okay. Wir können es uns leisten. Ich möchte, daß du dich schonst.«
    »Das tue ich, soweit es nötig ist. Ich höre auf zu arbeiten, wenn ich es für an der Zeit halte.«
    Er war leicht gekränkt. »Ich dachte, du würdest dich freuen. Warum willst du weiterarbeiten?«
    »Weil wir das Geld brauchen und ich etwas zu tun haben muß.«
    »Ich sagte doch, daß wir es uns leisten können.«
    »Ich würde mich langweilen.«
    »Die wenigsten Frauen arbeiten.«
    Sie hob die Stimme. »Eddie, weshalb willst du mich anbinden?« Er wollte sie nicht anbinden, und der Vorwurf ärgerte ihn. »Warum bist du denn gleich so aufgebracht?«
    »Ich bin nicht aufgebracht! Ich habe nur keine Lust, hier herumzusitzen!«
    »Hast du denn nichts zu tun?«
    »Was?«
    »Babysachen stricken, Marmelade kochen, dich ausruhen …«
    »Also wirklich!« sagte sie spöttisch.
    »Was, um Himmels willen, ist daran so schlimm?« meinte er brummig.
    »Dafür ist noch mehr als genug Zeit, wenn das Baby kommt. Ich möchte meine letzten Wochen der Freiheit genießen!«
    Eddie fühlte sich gedemütigt, aber er wußte nicht so recht, wodurch. Er wollte weg von hier. Er schaute auf die Uhr. »Ich muß zum Zug.«
    Carol-Ann wirkte traurig. »Ärgere dich nicht«, bat sie versöhnlich.
    Aber er ärgerte sich trotzdem. »Ich fürchte, ich kann dich nicht verstehen«, entgegnete er gereizt.
    »Ich ertrage es nicht, angebunden zu sein!«
    »Ich habe es nur gut gemeint.« Er stand auf und ging in die Küche, wo seine Uniformjacke am Haken hing. Er kam sich dumm und mißverstanden vor. Er hatte etwas Großzügiges tun wollen, und sie verkehrte es ins Gegenteil.
    Sie holte seinen Koffer aus dem Schlafzimmer und reichte ihn ihm, als er in die Jacke geschlüpft war. Dann hob sie das Gesicht, und er gab ihr einen flüchtigen Kuß.
    »Geh nicht im Streit«, bat sie.
    Aber er tat es.
    Und nun stand er in einer Gartenanlage in einem fremden Land, Tausende von Kilometern weit fort von ihr, mit einem Herzen so schwer wie Blei, und fragte sich, ob er seine Carol-Ann je wiedersehen würde.
    Nancy Lenehan stellte fest, daß sie zum erstenmal in ihrem Leben zugenommen hatte.
    Sie stand in ihrer Suite im Hotel Adelphi in Liverpool neben einem Stapel Gepäck, das an Bord der S.S. Orania gebracht werden sollte, und starrte entsetzt in den Spiegel.
    Sie war weder schön noch

Weitere Kostenlose Bücher