Nacht über den Wassern
entsetzt. »Du begibst dich in Lebensgefahr!«
Elizabeth blickte sie trotzig an. »Nicht nur Sozialisten sind bereit, für eine gute Sache zu sterben, weißt du.«
»Aber doch nicht für den Nazismus!«
»Es geht nicht nur um Faschismus«, entgegnete Elizabeth, und ein seltsames Licht glänzte in ihren Augen. »Sondern um alle reinrassigen Arier, die in Gefahr sind, von Niggern und Mischlingen überschwemmt zu werden. Es geht um die menschliche Rasse.«
Margaret drehte sich der Magen um. Es war schlimm genug, ihre Schwester zu verlieren – aber dann auch noch an eine so abgefeimte Ideologie! Doch Margaret wollte jetzt nicht wieder mit den alten Streitereien um Politik anfangen, sie machte sich ernsthafte Sorgen um ihre Schwester. »Wovon willst du leben?« fragte sie.
»Ich habe mein eigenes Geld.«
Margaret erinnerte sich, daß ihr Großvater ihrer Schwester und ihr Geld vermacht hatte, das sie mit einundzwanzig Jahren bekommen sollten. Es war nicht viel, aber es reichte, um eine Weile davon zu leben.
Da fiel ihr etwas anderes ein. »Aber dein Gepäck ist doch bereits nach New York aufgegeben.«
»Die Koffer sind voll alter Tischdecken. Ich habe andere Koffer gepackt und schon am Montag vorausgeschickt.«
Margaret staunte. Elizabeth hatte offensichtlich alles genau geplant und in aller Stille auch ausgeführt. Verbittert dachte Margaret daran, wie übereilt und unüberlegt ihr eigener Fluchtversuch im Vergleich dazu gewesen war. Während sie nur trübselige Gedanken gewälzt und trotzig das Essen verweigert hatte, hatte Elizabeth bereits ihre Reise gebucht und ihr Gepäck vorausgeschickt. Sicher, Elizabeth war einundzwanzig und sie nicht, aber das war nicht so entscheidend gewesen wie sorgfältige Planung und überlegte Ausführung. Margaret schämte sich, weil sich ihre Schwester, die in ihren politischen Ansichten so dumm und verbohrt war, in dieser Sache so klug verhalten hatte.
Plötzlich wurde ihr bewußt, wie sehr sie Elizabeth vermissen würde. Obwohl sie keine guten Freundinnen mehr waren, war Elizabeth immer dagewesen. Meistens hatten sie gestritten und sich gegenseitig über ihre Vorstellungen lustig gemacht, doch selbst das würde Margaret fehlen. Und sie hatten einander trotz allem immer beigestanden, wenn es um persönliche Dinge ging. Wenn Elizabeth sich schlecht fühlte, weil sie ihre Periode hatte, und im Bett lag, brachte ihr Margaret heiße Schokolade und eine Illustrierte. Und Elizabeth hatte mit ihr gefühlt, als Ian gefallen war. Obwohl sie die Verbindung nicht gebilligt hatte, war sie Margaret wirklich ein Trost gewesen. »Du wirst mir entsetzlich fehlen«, meinte Margaret, und die Tränen stiegen ihr in die Augen.
»Laß dir nichts anmerken«, mahnte Elizabeth besorgt. »Ich möchte nicht, daß sie es jetzt schon erfahren.«
Margaret faßte sich. »Wann willst du es ihnen sagen?«
»In der allerletzten Minute. Kannst du dich bis dahin zusammennehmen?«
»Na gut.« Margaret zwang sich zu einem Lächeln. »Ich werde so ekelhaft zu dir sein wie immer.«
»O Margaret!« Jetzt war Elizabeth den Tränen nahe. Sie schluckte. »Geh und unterhalte dich mit ihnen, ich komme auch gleich.« Margaret drückte ihr die Hand, dann kehrte sie zu ihrem Platz zurück.
Mutter blätterte durch die Vogue und las Vater hin und wieder etwas vor, anscheinend ohne zu merken, daß er überhaupt nicht zuhörte. »Spitzen sind der letzte Schrei«, erklärte sie und fügte hinzu: »Ist mir gar nicht aufgefallen, dir?« Daß er nicht antwortete, störte sie nicht im geringsten. »Weiß ist die Farbe der Saison. Also, ich mag es nicht. Weiß macht mich blaß.«
Vater hatte eine unerträglich selbstzufriedene Miene aufgesetzt. Er bildete sich etwas darauf ein, daß er seine Autorität wieder einmal bewiesen und Margarets Aufstand niedergeschlagen hatte. Aber er wußte noch nicht, daß seine ältere Tochter eine Zeitbombe im Gepäck hatte.
Würde Elizabeth den Mut haben, die Sache durchzuziehen? Es war eins, es Margaret zu erzählen, und etwas anderes, es Vater klarzumachen. Vielleicht verlor Elizabeth im letzten Moment die Nerven. Margaret hatte ja selbst vorgehabt, mit Vater zu reden, und sich dann schließlich doch nicht getraut.
Selbst wenn Elizabeth es Vater tatsächlich sagte, war keineswegs sicher, daß sie sich durchsetzen konnte. Und wenn sie auch bereits volljährig war und eigenes Geld besaß, Vater hatte einen entsetzlich starren Willen und ging skrupellos vor, wenn es darum ging, ihn
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