Nacht über den Wassern
fragte sie mit bebender Stimme.
Er musterte sie von Kopf bis Fuß. »Ja. Zwei Sitze.«
»Bitte nehmen Sie mich mit.«
Er zögerte, dann zuckte er die Schultern. »Von mir aus.«
Vor Erleichterung hätten ihre Knie fast nachgegeben. »O Gott! Ich bin Ihnen ja so dankbar!«
»Schon gut«, sagte er. Er streckte ihr eine kräftige Hand entgegen. »Mervyn Lovesey.«
Sie schüttelten sich die Hände. »Nancy Lenehan«, erwiderte sie. »Bin ich froh, Sie kennenzulernen!«
Eddie wurde schließlich klar, daß er mit jemandem reden mußte.
Aber mit jemand, dem er absolut trauen konnte; jemand, der bestimmt schweigen würde.
Die einzige Person, mit der er über so etwas sprechen konnte, war Carol-Ann. Sie war seine Vertraute. Er hätte es nicht einmal seinem
Vater anvertraut, wenn der noch gelebt hätte. Er hatte ihm nie gern Schwächen gezeigt. Gab es jemanden, dem er trauen konnte?
Er dachte an Captain Baker. Marvin Baker war genau der Typ von Pilot, dem Fluggäste vertrauten. Er sah gut aus, hatte ein festes eckiges Kinn, besaß Selbstsicherheit und Durchsetzungsvermögen. Eddie hatte Hochachtung vor ihm und mochte ihn auch. Aber Bakers Loyalität galt dem Flugzeug und der Sicherheit der Passagiere, und er hielt sich pedantisch an die Regeln. Er würde darauf bestehen, daß er mit seiner Geschichte sofort zur Polizei ging. Nein, er war nicht der Richtige.
Sonst noch jemand?
Ja. Steve Appleby.
Steve war ein Holzfällersohn aus Oregon, ein großer Bursche mit Muskeln hart wie Stahl, ein Katholik aus einer sehr armen Familie. Sie waren zur gleichen Zeit Midshipmen, Seeoffiziersanwärter, in Annapolis gewesen. Gleich an ihrem ersten Tag hatten sie sich in dem riesigen weißen Speisesaal angefreundet. Während die anderen Neulinge sich über den Fraß beschwerten, leerte Eddie seinen Teller bis auf den letzten Krümel. Als er aufblickte, sah er, daß es offenbar außer ihm nur noch einen anderen Kadetten gab, der so arm war, daß ihm das Essen schmeckte: Steve. Ihre Blicke waren sich begegnet, und sie verstanden einander sofort.
Sie waren Freunde geblieben. Nach Abschluß der Akademie waren sie beide in Pearl Harbor stationiert. Als Steve Nella heiratete, war Eddie Trauzeuge, und vergangenes Jahr hatte Steve den Trauzeugen für Eddie und Carol-Ann gemacht. Steve war immer noch in der Navy, und sein Standort lag in der Werft von Portsmouth in New Hampshire. Sie sahen einander nur hin und wieder, aber das spielte keine Rolle, denn ihre Freundschaft würde auch lange Trennungen überstehen. Briefe schrieben sie nur, wenn sie einander etwas Besonderes zu sagen hatten. Wenn sie beide durch Zufall einmal gleichzeitig in New York waren, gingen sie miteinander zum Essen aus oder besuchten ein Baseballspiel und waren sich so nahe, als wäre nur ein Tag vergangen, seit sie sich das letztemal gesehen hatten. Eddie hätte Steve bedenkenlos seine Seele anvertraut.
Steve war ein Organisationstalent. Ob es sich nun um Wochenendurlaub, eine Flasche Selbstgebrannten, zwei Karten für ein ausverkauftes Spiel oder dergleichen handelte – er organisierte alles, wo niemand sonst es fertigbrachte.
Eddie beschloß, sich mit ihm in Verbindung zu setzen.
Er fühlte sich ein bißchen besser, nachdem er wenigstens diesbezüglich eine Entscheidung getroffen hatte, und er eilte ins Hotel zurück.
Er ging in das kleine Büro und gab der Hotelbesitzerin die Nummer des Marinestützpunkts, dann stieg er zu seinem Zimmer hinauf.
Man würde ihn holen, wenn die Verbindung hergestellt war.
Er schlüpfte aus seinem Overall. Am liebsten hätte er gebadet, aber dazu reichte die Zeit wohl nicht, deshalb schrubbte er die Hände und wusch sich das Gesicht. Dann zog er ein frisches weißes Hemd und seine Uniformhose an. Diese Routinegriffe beruhigten ihn ein wenig, aber er fieberte vor Ungeduld. Er wußte nicht, ob Steve ihm helfen konnte, doch allein, daß er ihm sein Problem anvertrauen konnte, würde eine ungeheure Erleichterung sein.
Er band sich gerade seine Krawatte, als die Hotelbesitzerin klopfte. Zwei Stufen auf einmal nehmend, hastete er die Treppe hinunter und griff nach dem Hörer. Er hatte die Telefonzentrale des Stützpunkts in der Leitung.
»Würden Sie mich bitte mit Steve Appleby verbinden?« »Lieutenant Appleby ist momentan telefonisch nicht erreichbar«, erklärte die Telefonistin. Eddie seufzte. Sie fügte hinzu: »Kann ich ihm etwas ausrichten?«
Eddie war bitter enttäuscht. Er wußte, daß Steve nicht zaubern und Carol-Ann
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