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Nacht über den Wassern

Titel: Nacht über den Wassern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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durchzusetzen. Er würde nichts unversucht lassen, um Elizabeth von ihrem Vorhaben abzuhalten, daran zweifelte Margaret nicht im geringsten. Im Prinzip hatte er sicher nichts dagegen, daß Elizabeth sich auf die Seite der Nationalsozialisten stellte, aber er würde toben, weil sie sich nicht seinen Plänen für die Familie fügte.
    Margaret hatte viele Auseinandersetzungen mit ihrem Vater gehabt. Er war wütend gewesen, als er erfahren hatte, daß sie ohne seine Erlaubnis Autofahren gelernt hatte; und als ihm zu Ohren gekommen war, daß sie sich eine Rede von Marie Stopes angehört hatte, der sehr umstrittenen Verfechterin der Empfängnisverhütung, hatte er sich so aufgeregt, daß er fast einen Schlaganfall bekommen hatte. Und all diese Dinge hatte sie nur machen können, weil es ihr geglückt war, es hinter seinem Rücken zu tun. In einer direkten Auseinandersetzung hatte sie sich nie gegen ihn behaupten können. Er hatte nicht geduldet, daß sie zu einem Zeltlager mit ihrer Kusine Catherine und einigen von Catherines Freundinnen und Freunden mitkam, obwohl sie bereits sechzehn war und ein Vikarehepaar die Aufsicht führte. Er verbot es, weil sowohl Mädchen wie Jungen teilnahmen. Ihre größte Auseinandersetzung hatte es um den Schulbesuch gegeben. Sie hatte gebettelt und geschrien, geschluchzt und getrotzt, aber er war unerbittlich gewesen. »Für Mädchen ist die Schule reine Zeitverschwendung«, hatte er gesagt. »Wenn sie groß sind, heiraten sie ja sowieso.« Aber er konnte doch nicht ewig über seine Kinder bestimmen, oder?
    Margaret war nervös. Sie stand auf und schlenderte durch den
    Wagen. Die meisten Passagiere teilten ihre zwiespältige Stimmung und waren halb freudig erregt, halb niedergeschlagen. Als sie in Waterloo Station in den Wagen stiegen, hatten alle sich lebhaft unterhalten, und es war viel gelacht worden. Bei der Gepäckabfertigung in Waterloo Station hatte es ein ziemliches Theater wegen Mutters Schrankkoffer gegeben, da er das zulässige Gewicht um ein Vielfaches überschritt. Mutter hatte jedoch unbekümmert alles ignoriert, was die Leute von Pan American sagten, und schließlich nahmen sie ihn doch mit. Ein junger Mann in Uniform hatte ihre Tickets genommen und sie zu dem Sonderwagen geführt. Dann, nachdem London hinter ihnen lag, waren die Menschen im Zug still geworden, als sagten sie stumm ihrer Heimat Lebewohl, die sie vielleicht nie wiedersehen würden.
    Unter den Fluggästen befand sich ein weltberühmter Filmstar – auch das war wohl ein Grund für die Aufregung, die bei den anderen Reisenden herrschte –, Lulu Bell. Percy saß gerade bei ihr und redete auf sie ein, als kenne er sie bereits sein Leben lang. Margaret hätte sich auch gern mit ihr unterhalten, aber ihr fehlte der Mut, sich einfach zu ihr zu setzen und sie in ein Gespräch zu verwickeln. Percy hatte da weniger Hemmungen.
    In natura sah sie älter aus als auf der Leinwand. Margaret schätzte sie auf Ende Dreißig, obwohl sie in den Filmen immer noch Debütantinnen und Frischvermählte spielte. Aber hübsch war sie trotzdem. So zierlich und lebhaft, wie sie war, erinnerte sie Margaret an einen kleinen Vogel.
    Margaret lächelte sie an, und Lulu sagte: »Ihr kleiner Bruder hat mir die Zeit vertrieben.«
    »Ich hoffe, er hat sich einigermaßen benommen.«
    »Aber gewiß doch. Er hat mir alles über Ihre Urgroßmutter, Rachel Fishbein, erzählt.« Lulus Stimme wurde so ernst, als zitiere sie aus einem tragischen Heldenstück. »Sie muß eine wundervolle Frau gewesen sein.«
    Margaret war peinlich berührt. Es war unmöglich von Percy, völlig fremden Leuten solche Lügen aufzutischen! Was, in aller Welt, hatte er dieser Ahnungslosen erzählt? Sie überspielte ihre Verlegenheit mit einem unbestimmten Lächeln – ein Trick, den sie von Mutter gelernt hatte – und ging weiter.
    Percy heckte ständig etwas aus, und in letzter Zeit offenbar in erhöhtem Maße. Er wurde älter, seine Stimme tiefer, und seine Streiche waren manchmal an der Grenze des Tragbaren. Noch hatte er Respekt vor Vater und lehnte sich gegen elterliche Gewalt nur auf, wenn er Margarets Unterstützung hatte; aber sie konnte sich gut vorstellen, daß Percy in gar nicht so ferner Zeit offen rebellieren würde. Was würde Vater dann tun? Konnte er einen Jungen ebenso leicht einschüchtern wie seine Töchter? Margaret bezweifelte es.
    Am hinteren Ende des Wagens saß eine auffallende Gestalt, die Margaret irgendwie bekannt vorkam. Es war ein großer Mann

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