Nacht unter Tag
Patel, die Kollegin von der psychologischen Opferbetreuung, erklärte, dass sie erst kürzlich aus der benachbarten West-Midlands-Polizei nach Bradfield gewechselt sei, was erklärte, wieso Patterson sie nicht kannte. Er hätte lieber jemanden dabeigehabt, der mit seiner Arbeitsweise vertraut war. Es war immer eine heikle Sache, wenn man mit der Familie eines Mordopfers zu tun hatte. Ihr Kummer ließ sie unvorhersehbar und oft ablehnend reagieren. Dieser Fall würde doppelt schwierig sein. Zum Teil, weil der Sexualmord an einem Teenager an sich schon ein emotionaler Alptraum war. Aber in diesem Fall stellte der Zeitdruck eine zusätzliche Schwierigkeit dar.
Während Patterson Patel die nötigen Informationen gab, saßen sie wegen des Regens in seinem Wagen. »Im Vergleich zu sonst haben wir mit diesem Fall zusätzliche Probleme«, erklärte er.
»Das unschuldige Opfer«, bemerkte Patel lapidar.
»Es geht darüber hinaus.« Er fuhr sich mit den Fingern durch das silbergraue, gelockte Haar. »Gewöhnlich gibt es einen zeitlichen Abstand zwischen dem Verschwinden und dem Zeitpunkt, wenn wir die Leiche finden. Dann haben wir Zeit, um Hintergrundinformationen von der Familie zu bekommen, Auskunft darüber, wo die vermisste Person sich aufgehalten hat. Die Leute sind verzweifelt darauf aus zu helfen, weil sie glauben wollen, dass es eine Chance gibt, das Kind zu finden.« Er schüttelte den Kopf. »Aber diesmal nicht.«
»Das kann ich nachvollziehen«, sagte Patel. »Sie haben sich noch nicht einmal an den Gedanken gewöhnt, dass sie vermisst wird, und da kommen wir und teilen ihnen mit, dass sie tot ist. Sie werden völlig niedergeschmettert sein.«
Patterson nickte. »Und bitte, glauben Sie nicht, dass ich dafür kein Verständnis habe. Aber für mich besteht die Schwierigkeit darin, dass sie in diesem Zustand nicht vernehmungsfähig sein werden.« Er seufzte. »In den ersten vierundzwanzig Stunden einer Morduntersuchung, da müssen wir Fortschritte machen.«
»Haben wir einen Bericht darüber, was Mrs.Maidment sagte, als sie Jennifer als vermisst meldete?«
Das war eine gute Frage. Patterson zog seinen BlackBerry aus der Innentasche und suchte seine Lesebrille. Er rief die E-Mail des diensthabenden Kollegen auf, der Tania Maidments Anruf entgegengenommen und die Ambrose dann an ihn weitergeleitet hatte. »Sie hat angerufen, statt auf die Wache zu kommen«, sagte er und las von dem kleinen Display ab. »Sie wollte vermeiden, dass niemand im Haus war, weil Jennifer vielleicht ohne Schlüssel dastehen würde, falls sie heimkam. Jennifer hatte einen Schlüssel, aber ihre Mutter wusste nicht, ob sie ihn mitgenommen hatte. Ihre Mutter hatte sie nicht gesehen, seit sie morgens zur Schule gegangen war …« Er scrollte den Text weiter runter. »Es war vorgesehen, dass sie zu einer Freundin nach Hause ging, um dort die Schulaufgaben zu machen und zu Abend zu essen. Sie hätte um acht zurück sein sollen. Alles in allem hätte das kein Problem sein sollen, weil die Mädchen das oft so handhabten, entweder bei Jennifer zu Haus oder bei der Freundin. Ihre Mutter nahm es nicht ganz so genau, rief aber bei der Freundin um Viertel nach acht an. Die Freundin hatte Jennifer seit Schulschluss nicht gesehen und wusste nichts von einer Verabredung zu Abendessen und Schulaufgaben. Jennifer hatte nichts über irgendwelche Pläne gesagt, nur dass sie zum Co-op und dann nach Haus gehen wolle. Und da hat Mrs.Maidment uns angerufen.«
»Ich hoffe, dass wir sie ernst genommen haben«, sagte Patel.
»Gott sei Dank, ja. DC Billings nahm eine Personenbeschreibung auf und leitete sie an alle Abteilungen weiter. Deshalb konnten wir die Leiche so schnell identifizieren. Lassen Sie mich mal sehen … Vierzehn Jahre alt, eins fünfundsechzig groß, schlank, schulterlanges braunes Haar, blaue Augen, Ohrlöcher, sie trug einfache Kreolen aus Gold. Sie hatte die Uniform der Worcester Girls’ Highschool an, weiße Bluse, dunkelgrüne Strickjacke, Rock und Blazer. Schwarze Strumpfhose und Stiefel. Über der Uniform trug sie einen schwarzen Regenmantel.« Er fügte murmelnd für sich hinzu: »Am Fundort aber nicht.«
»Ist sie das einzige Kind?«, fragte Patel.
»Keine Ahnung. Ich weiß auch nicht, wo Mr.Maidment ist. Wie ich schon sagte, wir haben hier wirklich ein Dilemma.« Er schickte schnell eine SMS an Ambrose und wies ihn an, die Freundin zu befragen, bei der Jennifer angeblich gewesen war, schloss dann seinen BlackBerry und versuchte,
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