Nacht unter Tag
unter dem Mantel seine Schultern zu lockern. »Sind wir so weit?«
Sie trotzten dem Regen und gingen den Weg entlang zu dem Einfamilienhaus der Maidments, einer dreistöckigen Doppelhaushälfte aus Backstein im edwardianischen Stil mit einem gepflegten Garten. Das Haus war erleuchtet, und die Vorhänge waren zurückgezogen. Die zwei Polizisten sahen ein Wohn- und ein Esszimmer, wie sie sich keines hätten leisten können: überall glänzende Oberflächen, schöne Stoffe und Bilder, wie man sie nicht bei IKEA findet. Pattersons Finger hatte kaum den Klingelknopf berührt, als die Tür schon aufging.
Der Zustand der Frau, die auf der Schwelle stand, hätte auch unter anderen Umständen eine Reaktion hervorgerufen. Aber Patterson hatte genug verzweifelte Mütter gesehen, dass ihn das zerzauste Haar, die verschmierte Augenschminke, die zerbissenen Lippen und der völlig verkrampfte Unterkiefer nicht überraschten. Als sie die beiden Beamten mit ihren niedergeschlagenen Gesichtern sah, weiteten sich ihre verschwollenen Augen. Eine Hand schlug sie vor den Mund, die andere legte sie auf ihre Brust. »Oh Gott«, rief sie mit tränenerstickter Stimme.
»Mrs.Maidment? Ich bin Detective Chief Inspector …«
Der Dienstgrad sagte Tania Maidment, was sie eigentlich nicht wissen wollte. Ihr angstvolles Stöhnen unterbrach Patterson. Sie taumelte und wäre gestürzt, wäre er nicht schnell auf sie zugegangen, hätte einen Arm um ihre hängenden Schultern gelegt und sie aufgefangen. Er trug sie halb ins Haus, DC Patel folgte.
Als er sie schließlich auf das ausladende Wohnzimmersofa sinken ließ, zitterte Tania Maidment, als sei sie völlig unterkühlt. »Nein, nein, nein«, rief sie immer wieder, während ihre Zähne aufeinanderschlugen.
»Es tut mir sehr leid. Wir haben eine Leiche gefunden, die wir für Ihre Tochter Jennifer halten«, sagte Patterson und warf Patel einen flehentlichen Blick zu.
Sie nahm seinen Hinweis auf, setzte sich neben die verstörte Frau und umfasste ihre kalten Hände mit ihren warmen. »Können wir jemanden anrufen?«, fragte sie. »Jemanden, der bei Ihnen bleiben könnte?«
Mrs.Maidment schüttelte den Kopf, fahrig, aber bei klarem Verstand. »Nein, nein, nein.« Dann schnappte sie nach Luft, als würde sie ertrinken. »Ihr Vater … Er kommt morgen zurück. Aus Indien. Er ist schon in der Luft. Er weiß nicht einmal, dass sie vermisst wird.« Dann kamen die Tränen und eine Reihe schrecklicher, kehliger Schluchzer. Patterson war sich nie unnützer vorgekommen.
Er wartete, bis der erste Ansturm des Schmerzes nachließ. Es schien unglaublich lange zu dauern. Schließlich ging Jennifers Mutter die Kraft aus. Patel hielt weiter den Arm um die Schultern der Frau geschlungen und nickte ihm fast unmerklich zu. »Mrs.Maidment, wir werden uns Jennifers Zimmer anschauen müssen«, sagte Patterson. Es war herzlos, er wusste es. Bald würde eine Gruppe von Kriminaltechnikern eintreffen und den Raum gründlich durchsuchen, aber er wollte als Erster die Privatsphäre des toten Mädchens in sich aufnehmen. Außerdem mochte die Mutter jetzt am Boden zerstört sein; aber häufig ging Eltern später auf, dass es Elemente im Leben ihrer Kinder gab, die sie nicht vor der Öffentlichkeit ausbreiten wollten. Sie hatten nicht die Absicht, die Ermittlungen zu behindern, eher war es so, dass sie nicht immer den Stellenwert von Dingen begriffen, die ihnen unwichtig vorkamen. Patterson wollte nicht, dass dies hier passierte.
Ohne eine Antwort abzuwarten, schlüpfte er aus dem Zimmer und ging nach oben. Patterson fand, dass sich aus dem Lebensumfeld viel über das Familienleben ablesen ließ. Während er die Treppe hinaufstieg, bildete er sich eine Meinung über Jennifer Maidments Zuhause. Alles hatte einen Schimmer, der auf Geld schließen ließ, ohne dass man den Eindruck von Perfektionismus bekam. Auf dem Tisch in der Diele war achtlos geöffnete Post verstreut, ein Paar Handschuhe lag auf dem Regalbrett über der Heizung, um die Blumen in einer Vase auf dem Fensterbrett am Treppenabsatz hätte man sich kümmern müssen.
Im ersten Stock stand er vor fünf geschlossenen Türen. Ein Zuhause also, in dem der Privatbereich etwas galt. Zuerst kam das große Elternschlafzimmer, dann ein Badezimmer, danach ein Arbeitszimmer. Alle lagen im Dunkeln und gaben nicht viele ihrer Geheimnisse preis. Hinter der vierten Tür lag, was er suchte. Einen Moment atmete er den Duft von Jennifer Maidments Leben ein, bevor er das Licht
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