Nacht
Feigling.
Ein Feigling, der irgendwann doch beschließt, dass nun der richtige Moment gekommen ist. Der hofft, dass niemand draußen wartet, um sich auf ihn zu stürzen, denn, wie gesagt, wissen kann man so etwas nicht. Irgendwann einmal atmet der Feigling tief durch, dreht den Schlüssel um, schiebt die Tür auf und rennt los.
Und auch in jener Nacht war der richtige Moment schließlich gekommen.
Ich zitterte am ganzen Körper, und der Kimono klaffte, weil ich mit seinem Ärmel immer wieder den Dampf von der Scheibe gewischt hatte, vorne einen Spalt auf. Ich zog ihn zusammen und knotete den Gürtel fester, bevor ich noch einmal Luft holte und die Tür aufschloss.
Ich schob sie nach rechts und hatte auf einmal viel klarere Sicht.
Und genau in dem Augenblick, in dem ich ins Freie treten wollte, löste sich aus dem Dunkel des Waldes eine Gestalt.
Beinahe wäre ich hinüber zur Garage gesprintet. Aber ich blieb stehen.
Wäre ich losgerannt, hätte die Gestalt mich gesehen.
Und dann? Wäre sie mir hinterhergelaufen? Und hätte sie mich erwischt?
Ich hielt die Luft an. Mit der rechten Hand tastete ich ganz langsam nach der Tür und zog sie so leise wie möglich wieder zu. Sie gab ein leises Schleifgeräusch von sich, das die Gestalt aber nicht zu bemerken schien.
Sie schien nicht einmal in meine Richtung zu schauen, sondern sah sich in alle Richtungen um und sogar über ihre Schulter nach hinten.
Aus den Bewegungen der Gestalt schloss ich, dass es sich um einen Mann handelte. Der Vollmond schien auf sein Haar und seine Schultern, sein Gesicht blieb im Schatten. Eigentlich konnte ich nur seinen Umriss erkennen. Er trug Shorts und hatte einen nackten Oberkörper.
Natürlich hätte der Fremde auch eine Frau sein können – eine schlanke Frau mit wenig Busen, die sich bewegte wie ein Mann, aber das glaubte ich nicht.
Es war bestimmt ein Mann.
Ein Mann, der sich aus dem Wald heraus an das Haus heranpirschte.
Vorsichtig, um kein Geräusch zu verursachen, drückte ich die Tür ins Schloss, drehte den Schlüssel herum und trat einen Schritt zurück.
Ich wusste genau, was ich jetzt tun musste.
Zum Telefon rennen und die Polizei rufen.
Aber dann wurde mir klar, dass ich nicht ans Telefon konnte. Um es zu holen, hätte ich die Glastür verlassen müssen, und dabei hätte ich den Fremden aus den Augen verloren.
Und das konnte ich nicht riskieren.
Ich blieb also stehen, wo ich war, und beobachtete ihn.
Er schien mich noch immer nicht gesehen zu haben. Vielleicht tat er auch bloß so, aber das bezweifelte ich. Verstohlen, doch ohne die geringste Eile bewegte er sich auf das Haus zu.
Vielleicht hat er die Telefonleitung gekappt und weiß, dass ich keine Hilfe holen kann.
Mach dich nicht lächerlich, rief ich mich zur Ordnung. So etwas gibt es doch nur im Kino. Im richtigen Leben kappt niemand eine Telefonleitung Oder vielleicht doch?
Wahrscheinlich wusste er nicht einmal, dass ich im Haus war.
Schließlich hatte ich schon eine Viertelstunde vor seinem Auftauchen alle Lampen ausgeknipst, er musste also glauben dass das Haus leer war.
Oder dass alle seine Bewohner schliefen!
Und was war, wenn er schon am Waldrand gestanden hatte, bevor ich das Licht ausgemacht hatte?
Was, wenn er mich schon den ganzen Tag lang beobachtet hat?
Bei diesem Gedanken wurde mir vor Angst fast übel.
Was will er?
Vielleicht gar nichts. Vielleicht war das nur jemand, der gerne nachts spazieren ging. Jemand, der sich im Wald verirrt und gerade erst den Weg ins Freie gefunden hatte.
Oder ein harmloser Irrer.
Oder …
Ein Einbrecher. Ein Vergewaltiger. Ein Mörder.
Am ganzen Körper zitternd sah ich zu, wie er über den Rasen kam und direkt gegenüber von mir an den Pool trat.
Soweit ich sehen konnte, hatte er weder Waffen noch Werkzeuge bei sich.
Aber seine Shorts hatten Taschen.
Kurz vor dem Beckenrand blieb er stehen. Er schien direkt in meine Richtung zu starren. Er kann dich nicht sehen, versuchte ich mir einzureden. Das Zimmer war dunkel, und wahrscheinlich spiegelte sich sogar der Mond in der Scheibe.
Langsam bewegte der Fremde den Kopf nach rechts und links.
Dann drehte er sich einmal um die eigene Achse, als wollte er sichergehen, dass ihn niemand beobachtete. Und dann schnallte er den Gürtel auf und ließ seine abgeschnittene Jeans nach unten fallen!
Obwohl der Mond hinter ihm stand und ihn nicht von vorne anschien, sah ich sofort, dass er keine Unterhose anhatte. Er war splitternackt!
Sein Gesicht war noch
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