Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kester Schlenz
Vom Netzwerk:
uns kontrollieren. Die Macht in uns ist von Natur aus wild und unbeherrscht. Sie ist schon einmal außer Kontrolle geraten. Das darf nie wieder passieren.«
    Sie hielt inne und sah mich an. In ihrem Blick konnte ich auf einmal so etwas wie Zärtlichkeit erkennen.
    »Ich bin alt, Ludmilla. Sehr alt. Meine Zeit geht zu Ende. Bald wird Dinah herrschen. Sie ist stark, aber auch grausam. Ich weiß das. Aber keine sonst hat die Kraft zu herrschen. Trotzdem mache ich mir Sorgen. Es hat Orden gegeben, in denen sich die Novizinnen gegen ihre Oberin erhoben haben, wenn der Druck zu groß wurde. Das soll uns nicht passieren. Ich muss Vorsorge treffen. Solveigh ist weise, aber schwach. Pia ist zu verspielt. Und die anderen wollen nur gehorchen und geleitet werden. Aber du, Ludmilla, du bist stark. Doch du bist jung. Zu jung.«
    Sie hielt inne, stand auf und ging auf das Bild mit dem Vorhang zu.
    »Sieh!«
    Sie zog den Vorhang zur Seite. Ich sah das Bildnis einer jungen Frau und erschrak. Das Mädchen, das hier in sitzender Haltung porträtiert worden war, sah aus wie ich. Schwarze Haare, die gleichen hohen Wangenknochen, das gleiche Kinn. Es hätte meine Zwillingsschwester sein können.
    »Das ist Bral, meine Tochter«, sagte Var. »Sie starb vor langer Zeit, lange bevor ich zu dem wurde, was ich heute bin. Als ich dich das erste Mal als Kind sah, sah ich sie. Ich war fasziniert. Nach Jahrtausenden wurde ein Mensch geboren, der aussah wie meine eigene Tochter. Ich beobachtete dich und fand Gefallen an dir. An deiner Unabhängigkeit und deiner Stärke, von der du selbst nichts wusstest, ja an die du bis heute nicht glaubst. Ich habe Dinah bisher verboten, dich und Pia zu beschatten. Ich will dir Zeit geben. Auch Zeit, Fehler zu machen, bis du verstehst. Du bist nicht wie andere. Aber die Zeit… ich bin müde. Komm näher.«
    Ich stand auf und ging auf sie zu. Ihr unheimliches weißes Gesicht leuchtete in fahlem Glanz. Sie hob eine Hand und strich mir sanft über mein Haar.
    »Wie Bral«, murmelte sie.
    Dann straffte sich ihr Körper. »Ludmilla, hör mir zu. Ich will dir ein zweites Geschenk machen. Ich gab dir einst mein Blut. Aber da warst du halb tot und noch zur Hälfte ein Mensch. Jetzt bist du eine Untote. Und jetzt wirst du erneut trinken. Niemand hat bisher im Orden dieses Privileg erhalten. Es wird dich stark machen. Sehr stark für dein Alter. Aber ich befehle dir, mit niemandem darüber zu reden. Hast du das verstanden?«
    Ich nickte wie betäubt.
    »Dann trink, Ludmilla.«
    Plötzlich war da eine Wunde in ihrer Hand. Ein dünner Blutstrahl schoß daraus hervor. Tiefrot wie Wein. Ich konnte nicht anders. Ich öffnete meinen Mund und trank Vars Blut in tiefen Zügen.
    In meinem Kopf explodierte ein grelles Licht. Wellen von purer Energie pulsten durch meinen Körper, erfüllten jede Zelle mit reiner, unverbrauchter Kraft. Ich saugte mich fest an Vars Hand und wollte nicht aufhören, nie wieder. Aber dann wurde ich mit ungeheurer Gewalt zurückgerissen. Var hielt mich fest.
    »Genug jetzt. Genug!« Ihre Stimme klang wie Donnergrollen.
    Ich fiel keuchend auf die Knie und stammelte eine Entschuldigung.
    »Es ist gut«, sagte Var. »Geh jetzt und lass mich allein.«
    Ich wandte mich um, öffnete die Tür und wankte hinaus. Als letztes hörte ich, wie der Vorhang wieder vor das Gemälde gezogen wurde.

29 - STREIT
    Draußen auf dem Gang kam ich langsam wieder zu mir. Mir war klar, dass etwas Ungeheures geschehen war. Ich ging langsam zurück in Richtung Versammlungsraum. Als ich die Kammer passierte, hörte ich das grauenvolle Wimmern der gefangenen Vampirin und beschleunigte meinen Schritt. Plötzlich stand Dinah vor mir.
    »Was wollte die Oberin von dir?« zischte sie und packte
    meinen Arm. Ich wollte versuchen, mich loszureißen, besann mich aber eines Besseren und antwortete lächelnd: »Sie hat mir ein Bild gezeigt.«
    Überraschenderweise lächelte Dinah, ließ meinen Arm los und befahl: »Los, zurück mit dir zu den anderen.«
    Ich spürte ihren Blick in meinem Rücken, als ich zurück in den Versammlungsraum ging.
    Dort war die Stimmung ohne Dinah, Solveigh und Var viel gelöster. Ich hörte die Novizinnen schon draußen lachen und schwatzen. Als ich eintrat, verstummten die Gespräche. Dann bestürmten mich alle mit Fragen. »Was wollte Var von dir?«
    »Was hat sie gesagt?«
    »So sag doch!«
    Ich überlegte kurz. Var hatte mich lediglich verpflichtet, nichts über den Bluttrank zu sagen. Also erklärte ich, dass

Weitere Kostenlose Bücher